ein Blogbeitrag von Rechtsreferendarin Franziska Rummel
In vielen Verfahren im Sexualstrafrecht steht am Anfang nur eine einzige belastende Aussage – ohne objektive Beweise. Viele glauben in einer solchen Situation könne nur eingestellt oder freigesprochen werden. Andere denken, es würde per se der belastenden Aussage gefolgt werden. Beides ist falsch. Es kommt auf den Inhalt und Glaubhaftigkeit der belastenden Aussage an. Gerade in solchen Konstellationen ist eine erfahrene Verteidigung besonders wirksam.
Dieser Beitrag zeigt auf, wie Gerichte und Staatsanwaltschaften die Glaubhaftigkeit von Aussagen prüfen, welche Strategien im Aussage-gegen-Aussage-Fall relevant sind und warum Strafverteidigung zum entscheidenden Wendepunkt im Verfahren werden kann.
Was bedeutet „Aussage gegen Aussage“ im Sexualstrafrecht?
In Strafverfahren wegen sexueller Übergriffe oder sexuellen Missbrauchs liegt häufig keine objektive Beweislage vor. Es gibt weder DNA-Spuren noch unbeteiligte Zeugen – nur die Aussage der (vermeintlich) betroffenen Person steht im Raum. Die einzige Verteidigungsmöglichkeit des Beschuldigten: das eigene Schweigen oder eine gegenteilige Aussage.
In der juristischen Praxis spricht man in solchen Fällen von einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation. Für eine Verurteilung reicht die bloße Behauptung einer Straftat nicht aus. Vielmehr muss das Gericht die Aussage der belastenden Person auf ihre Glaubhaftigkeit überprüfen und ihr glauben schenken. Doch Gerichte und Staatsanwaltschaften tuen genau dies oft vorschnell.
Glaubhaftigkeitsprüfung: Wie Gerichte und Staatsanwaltschaften Aussagen bewerten
Die zentrale Frage im Aussage-gegen-Aussage-Fall lautet: Ist die Aussage glaubhaft? Und: Ist die aussagende Person glaubwürdig?
Zur Beantwortung dieser Fragen analysiert das Gericht die Aussage anhand wissenschaftlich entwickelter Kriterien, die aus der Aussagepsychologie stammen. Dazu zählen:
- Aussagekonstanz: Bleibt die Darstellung über die Zeit und in unterschiedlichen Situationen in der Kernaussage stabil?
- Detailreichtum und Individualität: Weist die Aussage lebendige, konkrete und sinnlich erfahrbare Details auf? Gibt es Selbstkorrekturen und Einräumung eigener Unsicherheiten?
- Plausibilität: Ist der geschilderte Ablauf im Hinblick auf Alltagserfahrung und menschliches Verhalten realistisch und nachvollziehbar?
- Motivationsanalyse: Gibt es persönliche, soziale oder emotionale Gründe, warum eine bewusste (oder noch häufiger unbewusste) falsche Aussage gemacht werden könnte?
- Kontextualisierung und Einbettung: Ist die Aussage in einen konkreten sozialen und biografischen Zusammenhang eingebettet?
Rolle der Verteidigung: Strategisch angreifen – sachlich überzeugen
In Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen ist die Rolle der Strafverteidigung besonders anspruchsvoll. Ziel ist es, Zweifel zu säen – denn das Strafrecht folgt dem Grundsatz: „Im Zweifel für den Angeklagten“ (in dubio pro reo).
Wichtige Verteidigungsstrategien sind:
- Prüfung von Aussageentwicklung und -konsistenz: Wurden zentrale Elemente erst spät eingeführt? Haben sich Versionen verändert?
- Hinterfragen der Beziehungsdynamik: Gibt es Konflikte, Trennungen, Sorgerechtsfragen oder andere mögliche Motive für eine Falschaussage?
- Rekonstruktion alternativer Geschehensabläufe: Was könnte alternativ passiert sein.
In vielen Fällen kann erfahrene und hochspezialisierte Verteidigung mittels aussagepsychologischer Analyse eine Druckschwelle aufbauen und so die Staatsanwaltschaft von einer Anklage abhalten. Vielfach muss die Verteidigung den vorschnellen Griff der Staatsanwaltschaften („Warum sollte die Anzeigenerstatterin lügen?“) aufhalten und für die Besonderheiten der Aussagepsychologie und der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei Aussage gegen Aussage sensibilisieren.
Sachverständige im Sexualstrafverfahren – Schlüssel zur Wahrheit oder Fallstrick?
Ein zentrales Instrument in der Glaubhaftigkeitsprüfung ist das aussagepsychologische Gutachten. Hierbei analysiert ein psychologischer Sachverständiger die Aussage der mutmaßlich betroffenen Person und beurteilt, ob diese aus tatsächlichem Erleben oder aus einer freien Erfindung stammt.
Für die Verteidigung bedeutet das: Ein Gutachten kann entlasten – oder stark belasten.
Deshalb sollte die Verteidigung:
- frühzeitig Akteneinsicht beantragen
- in geeigneten Fällen eigene Sachverständige hinzuziehen oder eine Zweitbegutachtung beantragen
- methodische Schwächen oder unzulässige Schlussfolgerungen des Gutachters aufdecken
Ein schlecht vorbereitetes oder unkritisch akzeptiertes Gutachten kann zu einer vorschnellen Verurteilung führen – obwohl objektiv Zweifel bestehen.
Fazit: Aussage gegen Aussage heißt nicht Beweis gegen Beweis
Im Sexualstrafrecht wird häufig allein auf Grundlage einer belastenden Aussage angeklagt und bisweilen auch verurteilt. Doch eine Verurteilung setzt voraus, dass diese Aussage hohen Anforderungen an die Glaubhaftigkeit genügt.
Eine professionelle Strafverteidigung setzt diesen von der Justiz häufig missachteten Standard durch. Sie muss substanzielle Angriffspunkte identifizieren, die geeignet sind, berechtigte Zweifel an der Überzeugungskraft der Aussage zu wecken. Sie kennt die prüfbaren Kriterien, kann strategisch auf Widersprüche oder psychologische Schwächen hinweisen und gegebenenfalls mit eigenen Sachverständigen gegensteuern.
Wer beschuldigt wird, sollte niemals vorschnell Aussagen gegenüber Polizei oder Staatsanwaltschaft machen, sondern von Beginn an eine hoch spezialisierte Verteidigung einschalten.
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