ein Kommentar von Rechtsreferendarin Anne Kluwe
Der Bundestag hat am 20. Oktober 2022 eine Verschärfung des Tatbestandes der Volksverhetzung beschlossen. Was sind die Hintergründe und wie sind die Änderungen aus unserer Sicht zu bewerten.
Ganz freiwillig erfolgte die Gesetzesänderung nicht. Hintergrund war die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland durch die europäische Kommission wegen unzureichender Umsetzung eines Rahmenbeschlusses aus 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.
Was die Ergänzung des § 130 StGB im Einzelnen vorsieht
Die Änderung sieht vor, dass zukünftig die öffentliche Billigung, Leugnung und „gröbliche Verharmlosung“ von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen durch einen neuen Absatz in § 130 StGB mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe sanktioniert werden, wenn die Tat in einer Weise begangen wird, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören. AfD und Linke stimmten gegen diese Änderung im Strafgesetzbuch.
Das rote Alarmlämpchen bei Einschränkung der Meinungsfreiheit
Die Menschenwürde und den öffentlichen Frieden zu schützen ist das Kernanliegen des Tatbestands der Volksverhetzung. Dagegen kann niemand etwas einwenden, auch wir als Strafverteidiger natürlich nicht.
Aber: Seit jeher wohnt dem Straftatbestand der Volksverhetzung die Gefahr der Konturlosigkeit inne. Wann immer das scharfe Schwert des Strafrechts dazu gebraucht werden soll, eine bestimmte Meinungsäußerung zu beschneiden, hat aus rechtsstaatlicher Sicht ein rotes Alarmlämpchen aufzuleuchten.
Das Ideal einer freiheitlichen Gesellschaft lautet: Die Gedanken sind frei. Auf dem Markplatz der widerstreitenden Ideen und Meinungen sollen die Bürger sich frei und ohne Zwang austauschen können, gerade auch zu „unbequemen“ und polarisierenden Themen wie Krieg und Frieden, Abtreibung, Sterbehilfe oder dem Ausländer- und Asylrecht. Ein Rechtsstaat unterscheidet sich von einer Diktatur dadurch, dass er auch seine Feinde zu Wort kommen lässt.
Der Bestimmtheitsgrundsatz ist in Art. 103 GG sowie § 1 Strafgesetzbuch normiert. Strafrechtliche Normen müssen daher so präzise formuliert sein, dass der Bürger, die Gerichte und Strafverfolgungsbehörden genau wissen, wo ein verbotenes Verhalten anfängt – und wo es aufhört.
Sollen Amtsrichter:innen künftig über Völkermord entscheiden?
Wann aber liegt eine „gröbliche Verharmlosung“ von Völkermord vor? Wann ist die Verhamlosung noch nicht als „gröblich“, sondern „nur“ als durchschnittlich zu bezeichnen? Was, wenn ich den Buchtstaben „Z“ an mein Auto pinsele und damit durch die Stadt fahre? Das „Z“ ist bekanntlich zu einer Chiffre geworden für Putins völkerrechtlichen Angriff auf die Ukraine. Aber ist dieser brutale Angriffskrieg tatsächlich ein Völkermord oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im juristischen Sinne?
Das Bauchgefühl mag im Falle des Angriffskriegs auf die Ukraine all diese Fragen klar mit Ja beantworten. Wir alle haben mit Fassungslosigkeit die Bilder aus Butscha und anderen Orten zur Kenntnis genommen.
Aber: Ein Rechtsstaat, der seine Entscheidungen auf das Bauchgefühl stützt, hat seinen Namen nicht verdient. Die Zeiten, in denen konturlose Begriffe wie das „gesunde Volksempfinden“ hierzulande eine rechtliche Kategorie waren, sind zum Glück lange vorbei.
Wie viel historische Aufarbeitung und Präzision es bedarf, um einen Konflikt als Völkermord zu qualifizieren, haben die völkerstrafrechtlichen Diskussionen um die Jugoslawienkriege oder den Konflikt in Darfur im Südsudan vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gezeigt. Und es liegt auf der Hand, dass ein kleines Amtsgericht, das sich ansonsten mit Kneipenschlägereien und Hausfriedensbrüchen beschäftigt, mit einer dem Bestimmtheitsgrundsatz genügenden Beantwortungen all dieser großen Fragen überfordert sein wird.
Hinzu kommt: Je nach Temperament und politischer Couleur der erkennenden Richter:in sind unterschiedliche Entscheidungen zu erwarten. Strafverteidigern fällt es zu Recht schwer, ihren Mandanten eine solch uneinheitliche Spruchpraxis der Gerichte zu erklären.
Sind die Regierungen über das Ziel hinausgeschossen?
Aus unserer Sicht sind die Regierungen mit der Reform über das Ziel hinausgeschossen: Nach den Vorgaben der EU hätte es genügt, das Billigen oder Leugnen von Kriegsverbrechen nur dann zu bestrafen, wenn die Kriegsverbrechen durch ein Gericht bereits „endgültig festgestellt“ wurden. Warum hat man es damit nicht bewenden lassen? Es hätte die Rechtssicherheit bestärkt. Es wird wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis das Bundesverfassungsgericht die neue Norm wegen eines Verstoßes gegen das Erfordernis der Bestimmtheit kassieren wird.
Ist die Reform denn wenigstens effizient?
Es darf bezweifelt werden, dass die Neuregelung überhaupt ein taugliches Mittel dazu ist, Hass und Hetze in unserer Gesellschaft einzudämmen. Forschungsarbeiten aus der Soziologie und Kommunikationswissenschaft kommen immer wieder zu dem Ergebnis, dass das Strafrecht kein besonders effizientes Mittel im Kampf gegen die Vergiftung des öffentlichen Diskurses sind. Einen weitaus höheren Nutzen dürfte der ungehinderte Zugang zu seriösen Informationsquellen sowie die Vermittlung von Medienkompetenz bereits von Anbeginn der Grundschulzeit haben.
Wie auch immer: Sprechen Sie uns gerne an!
Egal ob Sie wegen des Verdachts der Volksverhetzung, eines Betruges oder aber einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz schlaflose Nächte haben: Wir von der Kanzlei H/T Defensio sind auf Strafverteidigung spezialisiert und stehen als verlässliche Ansprechpartner jederzeit zu Ihrer Verfügung. Zögern Sie nicht, uns online oder an einem unserer vielen Standorte in Hamburg, Lüneburg, Kiel, Lübeck, Bremen, Hannover, Osnabrück, Dortmund, Köln und Münster zu kontaktieren. Wir freuen uns auf Sie und helfen Ihnen gerne weiter!