(BGH, Beschluss vom 12.01.2016 – 3 StR 482/15)
Der BGH hat am 12.01.2016 ein Urteil des Landgerichts Rostock vom 22.04.2015 aufgehoben. Der Vorsitzende der Kammer sei insoweit nach § 24 Abs. 2 StPO befangen gewesen.
Das Landgericht Rostock hatte die Angeklagten unter anderem des erpresserischen Menschenraubs nach § 239 a StGB schuldig gesprochen.
Auf die eingelegten Revisionen der Angeklagten hatte der BGH-Senat das erstinstanzliche Urteil wegen eines Rechtsfehlers bei der Beweiswürdigung mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Rostock zurückverwiesen.
Diese Kammer hatte nunmehr gegen die Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung gemäß §§ 224, 239, 239 a, 253, 255, 52 StGB sowie wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung gemäß §§ 224, 239, 239 a, 253, 255, 22, 23, 52 StGB jeweils auf dieselben Gesamtfreiheitsstrafen wie zuvor erkannt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen.
Mit ihren daraufhin eingelegten Revisionen beanstandeten die Angeklagten die Verletzung sowohl formellen als auch materiellen Rechts.
Der Rüge der beiden Angeklagten liegt im Wesentlichen folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Der Verteidiger des Angeklagten1 nahm am Abend des 22. Januar 2015 erstmals von dem Facebook-Account des Vorsitzenden der Strafkammer Kenntnis. Im öffentlich zugänglichen Bereich war auf der Profilseite ein Lichtbild des Vorsitzenden zu sehen, auf dem dieser mit einem Bierglas in der Hand auf einer Terrasse sitzt und ein T-Shirt trägt, das mit der Aufschrift: „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA“ bedruckt ist. Auf derselben Seite war vermerkt: „2. Große Strafkammer bei Landgericht Rostock“. In der Zeile darunter hieß es: „1996 bis heute“. Im Kommentarbereich befand sich ein Eintrag des Vorsitzenden, der wie folgt lautete: „Das ist mein ‚Wenn du raus kommst, bin ich in Rente‘-Blick“. Dieser Eintrag wurde von einem Benutzer mit den Worten: „…sprach der schwedische Gardinen-Verkäufer! :-))“ kommentiert, was wiederum von zwei Personen, darunter der Vorsitzende, „geliked“ wurde. Zu Beginn des nächsten Hauptverhandlungstages lehnte der Verteidiger des Angeklagten1 daraufhin den Vorsitzenden wegen des Inhalts der Facebook-Seite und weiterer Umstände wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Diesem Ablehnungsgesuch schloss sich der der Angeklagte2 an.
Daraufhin unterbrach die Strafkammer die Hauptverhandlung, §§ 228 ff. StPO.
In der Folgezeit äußerte sich der Vorsitzende der Strafkammer zu dem den Facebook-Account betreffenden Inhalt des Ablehnungsgesuches wie folgt: „Zum weiteren Vorbringen im Ablehnungsgesuch gebe ich keine Stellungnahme ab. Ich werde mich nicht zu meinen privaten Lebensverhältnissen äußern.“
Am 28. Januar 2015 wies die Strafkammer die Ablehnungsgesuche der Angeklagten als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie an, dass der Internetauftritt des Vorsitzenden betreffe ausschließlich dessen persönlichen Lebensbereich betreffe und offensichtlich humoristisch geprägt sei.
Die Revisionen der Angeklagten hatten Erfolg. Bei dem Urteil habe nach der Ansicht des BGH nämlich ein Richter mitgewirkt, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen worden ist. Dies stellt einen absoluten Revisionsgrund gemäß § 338 Nr. 3 StPO dar, da insoweit § 24 StPO verletzt ist. Denn wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine erforderliche Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflussen kann, ist die Ablehnung eines Richters nach § 24 Abs. 2 StPO gerechtfertigt. Maßstab für die Beurteilung dieser Voraussetzungen ist ein vernünftiger bzw. verständiger Angeklagter.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Der Inhalt der öffentlich und somit auch für jeden Verfahrensbeteiligten zugänglichen Facebook-Seite dokumentiert eindeutig eine innere Haltung des Vorsitzenden, die bei verständiger Betrachtung die Befürchtung besorgen lässt, dieser beurteile die von ihm zu bearbeitenden Strafverfahren nicht objektiv, sondern habe Spaß an der Verhängung hoher Strafen und mache sich über die Angeklagten lustig. Die beschriebene Facebook-Seite enthält auch einen eindeutigen Hinweis auf die berufliche Tätigkeit des Vorsitzenden und betrifft deshalb NICHT lediglich dessen persönliche Verhältnisse. Unter diesen Umständen war ein noch engerer Zusammenhang mit dem konkreten, die Angeklagten betreffenden Strafverfahren nicht erforderlich, um bei ihnen die berechtigte Befürchtung zu begründen, dem Vorsitzenden mangele es an der nötigen gebotenen Neutralität. Das in dem Ablehnungsgesuch dargelegte Misstrauen in die Unparteilichkeit des Vorsitzenden ist deshalb gerechtfertigt. Dessen Internetauftritt ist insgesamt mit der gebotenen Haltung der Unvoreingenommenheit eines im Bereich des Strafrechts tätigen Richters nicht zu vereinbaren.
Somit bedarf die Sache einer neuen Verhandlung und Entscheidung. Hierbei hat der Senat von der in § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, das Verfahren an ein zu demselben Bundesland gehörendes aber anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. Über die Sache hat jetzt das Landgericht Stralsund zu entscheiden.
Das Verhalten dieses Richters ist eine Schande für einen ganzen Berufsstand. Es ist dem Einsatz engagierter Verteidiger zu verdanken, dass zumindest diese Fehlurteile aufgehoben wurden. Es gibt sicher eine Vielzahl von Richtern mit einer derartigen Geisteshaltung. Hier konnte sie aufgedeckt werden.
Ein Beitrag von Rechtsreferendarin Sarah Pedersen