von: Fachanwalt für Strafrecht Dr. Hennig und Rechtsreferendarin Miriam Paschke
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 26.02.2020 (Az. 2 BvR 2347/15; 2 BvR 651/16; 2 BvR 1261/16) § 217 StGB für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Die Norm über die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung, verstoße gegen verschiedene Grundrechte. Allen voran gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Denn dieses umfasst das Recht auf selbstbestimmtes Sterben, sowie das Recht sich dazu der freiwilligen Hilfe von Dritten zu bedienen.
Hier erfahren Sie was sich durch das Urteil geändert hat:
§ 217 StGB ist nichtig – was bedeutet das?
Die Nichtigkeit des § 217 StGB hat weitreichende Folgen. Die Norm stellte die geschäftsmäßige Sterbehilfe in Deutschland unter Strafe. Sie trat am 10.12.2015 in Kraft. Seitdem war es verboten, dauerhaft und regelmäßig Hilfe zur Selbsttötung zu leisten. Sinn und Zweck der Norm war es, zum einen zu verhindern, dass sich die Hilfe zur Selbsttötung als normales und alltägliches Dienstleistungsangebot gesellschaftlich etabliert. Dadurch könnten besonders alte und kranke Menschen zur Selbsttötung und Inanspruchnahme von Sterbehilfe verleitet werden. Zum anderen sollte verhindert werden, dass durch geschäftsmäßig handelnde Suizidhelfer, die Willensbildung und Entscheidungsfindung der Betroffenen beeinflusst wird. Der Gesetzgeber wollte außerdem die Tätigkeit von Sterbehilfevereinen verbieten. Allerdings betraf die Norm beispielsweise auch Ärzte bei ihrer Arbeit.
Beispiel: Ein schwer kranker Patient bittet seinen Arzt, ihn beim Suizid zu begleiten und Sterbehilfe zu leisten. Um ihm diesen Wunsch zu erfüllen, verschreibt der Arzt dem Patienten ein zur Selbsttötung geeignetes Medikament und überwacht den Sterbeprozess. Wenn der Arzt diesen Gefallen mehreren Patienten getan hat oder dies vorgehabt hätte, ist bereits ein ernsthaftes Strafbarkeitsrisiko mit Blick auf § 217 StGB entstanden. Dies ist nun nicht mehr der Fall. Die geschäftsmäßige Sterbehilfe wurde durch das Urteil vollständig legalisiert.
Sterbehilfe in Deutschland: Ist die Mitwirkung an einem Suizid dann immer straflos?
Klare Antwort: Nein. Wer zum Beispiel täuschend auf einen potenziellen Suizidenten einwirkt, damit dieser sich umbringt, kann sich nach wie vor zum Beispiel wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft strafbar machen. In den klassischen Suizidfällen ohne Täuschung oder Zwang (siehe obiges Beispiel), bei denen es einfach nur um das Begleiten im Sterben ging, drohte neben § 217 StGB auch eine Strafbarkeit wegen Totschlags durch Unterlassen oder Tötung auf Verlangen durch Unterlassen. Dem hat der BGH (BGH, Urt. v. 03.07.2019 – 5 StR 393/18) schon im Jahr 2019, nach Jahrzehnten gegenteiliger Rechtsprechung, eine Absage erteilt: Ein versuchter, Totschlag durch Unterlassen bzw. eine versuchte Tötung auf Verlangen durch Unterlassen liegt in diesen Fällen mangels sog. Garantenstellung nicht mehr vor: Die Garantenstellung eines Arztes für das Leben eines behandelten Patienten endet, wenn er vereinbarungsgemäß nur noch dessen freiverantwortlichen Suizid begleitet. Es gebiete die Würde des Menschen, sein in einem einwilligungsfähigen Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden (Komazustand) nicht mehr in der Lage ist. Hierin liegt eine längst überfällige, begrüßenswerte und fundamentale Rechtsprechungsänderung, die sich in auffälliger Weise in die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des § 217 StGB einfügt.
Diskussion zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Nichtigkeit des § 217 StGB
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird anders als das BGH-Urteil kontrovers diskutiert. Während insbesondere Sterbehilfevereine das Urteil begrüßen und ihre Tätigkeit teilweise bereits wieder aufgenommen haben, gibt es auch Kritik. Palliativmediziner und Hospize äußern Bedenken. Sie befürchten genau das, was der Gesetzgeber durch den § 217 StGB vermeiden wollte. Der häufigste Grund für einen Sterbewunsch sei ihrer Erfahrung nach, dass man anderen Menschen nicht zur Last fallen will. Besonders alte und kranke Menschen könnten sich angeblich durch ein Dienstleistungsangebot für Sterbehilfe zu einer Inanspruchnahme unter Druck gesetzt fühlen. Das Bild im Ausland spricht allerdings gegen diese Befürchtungen.
Fachanwalt für Strafrecht Dr. Hennig: Die Argumente des Bundesverfassungsgerichts überwiegen. Zudem darf Strafrecht immer nur äußerstes Mittel sein. Die Kriminalisierung von Menschen, die anderen im Sterben begleiten, ist auch zu meiner Überzeugung verfassungswidrig und kriminologisch fehlgeleitet.
Was ist zu erwarten für die Sterbehilfe in Deutschland?
Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber Normen mit Beschränkungen und Regulierungen zur Ausübung von Sterbehilfe erlassen wird. Allerdings dürfen diese Normen keine so weitreichende und einschränkende Wirkung besitzen wie der § 217 StGB. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass es eine Garantie eines Rechts zum Sterben in jeder Lebensphase sieht, unabhängig vom Vorliegen einer besonders schweren Erkrankung. Dies bedeutet, der Gesetzgeber darf zwar Regelungen zur Ausübung von Sterbehilfe treffen, er darf hierbei jedoch nicht die Ausübung des Rechts zum Sterben, welches jedem einzelnen Menschen zusteht, behindern. Das Bundesverfassungsgericht hat zudem zu Recht dazu aufgefordert, die Vorschriften im Arznei- und Betäubungsmittelstrafrecht anzupassen.