ein Blogbeitrag von Rechtsreferendar David Kerstein
„Das Verfahren gegen mich wurde eingestellt. Die Staatsanwaltschaft hat festgestellt, dass die Betrugsvorwürfe, die gegen mich erhoben wurden, nicht stimmten. Ich bin erleichtert, dass in einer ausführlichen Beurteilung nun offiziell bestätigt wurde, dass ich weder Masken aus Bangladesch verkauft habe noch an der Spende von minderwertigen Masken beteiligt war.“
– Fynn Kliemann am 03.03.2023 via Instagram
Vor einigen Monaten sorgte der Fall „Fynn Kliemann“ für Empörung. Der bekannte YouTube-Heimwerker hatte zu Beginn der Coronakrise Masken verkauft: Er soll sie als „fair in Europa produziert“ angepriesen und damit geworben haben, sie zum Selbstkostenpreis abzugeben. Tatsächlich jedoch sollen die Masken, unter ausbeuterischen Bedingungen, in Bangladesch und Vietnam gefertigt worden sein. Und Herr Kliemann soll – nach eigenen Angaben gegenüber dem SPIEGEL – einen Gewinn von knapp einer halben Millionen Euro damit erwirtschaftet haben.
Dennoch sah die Staatsanwaltschaft Stade vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage ab, gemäß § 153a StPO unter Auflagen. Kliemann erklärte sich einverstanden. Das Verfahren wurde eingestellt.
So manch prominentes Verfahren hat auf diese Weise bereits sein Ende gefunden. So zum Beispiel stellte das Landgericht Düsseldorf das gegen den ehemaligen Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann Untreue-Verfahren im Jahre 2006 gegen Zahlung von 3,2 Millionen Euro ein. Wegen der exorbitanten Geldauflage von 100 Millionen Euro ist die Einstellung des Strafverfahrens gegen den ehemaligen Formel-1-Chef Bernie Ecclestone im Jahre 2014 in die Geschichtsbücher eingegangen: Nie zuvor und niemals wieder danach wurde eine höhere Geldauflage verhängt. Böse Zungen sprachen von einem Ablasshandel zu Gunsten der bayrischen Staatskasse, die FAZ von einem „obszönen Deal“. Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bezeichnete den Vorgang als Frechheit.
Was hat es mit einer Einstellung nach § 153a StPO auf sich?
Entgegen der Aussage in Kliemanns Instagram-Post ist eine Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO keine behördliche Feststellung der Unwahrheit der Vorwürfe. Es handelt sich nicht um eine Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts, § 170 Abs. 2 StPO, und nicht um einen Freispruch. Es wurde also keinesfalls „offiziell bestätigt“, dass Kliemann nicht in Masken-Betrug verwickelt war, so wie der Influencer auf seinem Instagram-Account suggerieren möchte. Ein Schuldeingeständnis ist aber für eine Einstellung nach § 153a StPO nicht Voraussetzung. Herr Kliemann darf sich weiterhin als unschuldig bezeichnen.
Die Vorschrift § 153a StPO soll für eine effiziente Nutzung der Ressourcen einer ohnehin bereits chronisch überlasteten Strafjustiz sorgen, ohne allerdings für den Betroffenen völlig „sanktionslos“ zu sein. Der oder die Beschuldigte kommt mit einem blauen Auge davon. Es findet keine Verurteilung statt. Es kommt nicht zu einer Eintragung in Führungszeugnis oder Bundeszentralregister. Dem öffentlichen Interesse nach „Sühne“, was auch immer das sein mag, soll durch die Verhängung einer Auflage genüge getan sein.
Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren können selbst bei Bagatelldelikten mitunter Jahre in Anspruch nehmen. Die stellt eine finanzielle, tatsächliche sowie emotionale Belastung aller Verfahrensbeteiligter dar. Daher ermöglicht es § 153a StPO, Verfahren im Bereich der mittleren Kriminalität ohne Strafausspruch zu erledigen. Ein etwaig bestehendes öffentliches Interesse an strafrechtlicher Sanktion soll durch die Verhängung einer Auflage kompensiert werden. Das Ziel ist eine schnelle und wenig arbeitsintensive Erledigung des Verfahrens. Die Hoffnung ist, dass die Ermittlungsbehörden sich schneller „wichtigeren“ Anliegen zuwenden können.
So geschah es nun im Fall Fynn Kliemann: Er muss je 5000 Euro an Unicef, den Kinderschutzbund, Ärzte ohne Grenzen und die Arche bezahlen. Anschließend ist eine strafrechtliche Verfolgung etwaiger Vergehen im Zusammenhang mit der so genannten „Maskenaffäre“ nicht mehr möglich. Es werden keinerlei Vorstrafen in das Bundeszentralregister eingetragen. Sollte Herr Kliemann einen Gewinn aus seinen Geschäften erzielt haben, und darauf deutet ja einiges hin, verbliebe dieser im „Kliemannsland“.
Wann kann es zu einer Einstellung des Verfahrens kommen?
Eine solche Entlastung aller Verfahrensbeteiligten ist nur möglich, wenn lediglich ein Vergehen zur Debatte steht, die Auflagen geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld einer Verfahrenseinstellung nicht entgegensteht.
Bei Fynn Kliemann stand eine Strafbarkeit wegen Betrugs und strafbarer Werbung im Raum. Beide Tatbestände sehen im Mindestmaß eine Geldstrafe vor. Sie sind mithin Vergehen.
Das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung kann general- und spezialpräventiv begründet sein. Es darf nicht mit der „öffentlichen Interessiertheit“ gleichgesetzt werden. Letztere steht einer Einstellung grundsätzlich nicht entgegen.
Problematisch an dem Fall war das große öffentliche Interesse. Rege Berichterstattung in den Medien wird fast immer als Indiz für ein bestehendes öffentliches Interesse an Strafverfolgung angenommen.
Gleichwohl wird die Intensität der Berichterstattung in den Medien über einen Fall häufig als Indiz für ein öffentliches Interesse herangezogen. Generalpräventiv gilt es zu verhindern, dass sich Ungesetzlichkeiten im Sozialleben einbürgern. Dieser Argumentation folgend führt die herausgehobene Stellung der Person des Verdächtigen nahezu immer zu einem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung.
Das Gesetz lässt offen, in welchen Fällen die Erfüllung einer Auflage geeignet sein kann, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen. Nicht kompensierbar ist das öffentliche Interesse jedenfalls, sofern erschwerende Umstände hinzutreten oder eine nicht weit zurückliegende, ähnliche Tat nach § 153a StPO behandelt wurde.
Prinzipiell ist die Schwere der Schuld anhand der Beweggründe und Ziele des Tatverdächtigen zu ermitteln. Eine zuverlässige Beurteilung des Schuldausmaßes ist bei einem Fall, bei dem es nicht zur Verhandlung gekommen ist, unmöglich. Es kann lediglich auf die ermittelten Gesamtumstände abgestellt werden. Insoweit diese auf eine schwere Schuld des Tatverdächtigen hindeuten, ist eine Verfahrenseinstellung ausgeschlossen. Diesbezüglich muss hinreichender Tatverdacht bestehen, denn nur dann kann dem Beschuldigten die – freiwillige – Übernahme besonderer Pflichten zugemutet werden.
An dieser Stelle dürfte es sich zugunsten von Fynn Kliemann ausgewirkt haben, dass eine Betrugsstrafbarkeit höchstwahrscheinlich am Tatbestandsmerkmal des Vermögensschadens gescheitert wäre. Seine Kunden erhielten als Gegenwert für den Kaufpreis tatsächlich Masken. Ob diese aufgrund des Produktionsstandorts von minderer Qualität sind, kann bezweifelt werden. Die Schwere der Schuld war insbesondere hinsichtlich des Tatbestands der strafbaren Werbung zu bewerten.
Fazit:
Fynn Kliemann hat ein schnelles und effizientes Ende des Verfahrens gewählt und sich hierdurch eine medienwirksame öffentliche Verhandlung erspart. Die Unschuldsvermutung wirkt zu seinen Gunsten fort. Dennoch war jedenfalls der Vorwurf der strafbaren Werbung nicht vollkommen von der Hand zu weisen. Einen Freispruch hat Kliemann gerade nicht erlangt.
Eine Verurteilung wäre nicht ausgeschlossen gewesen. Die von Herrn Kliemann zu tragende Strafe wäre dann aller Wahrscheinlichkeit nach deutlich höher ausgefallen als die Auflage in Höhe von 20.000 Euro. Der Fall verdeutlicht den immensen Umfang staatsanwaltschaftlichen Ermessens im Rahmen des § 153a StPO.
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