ein Blogbeitrag von Rechtsreferendar Dustin Lang
Schon im ersten Semester lernt jeder angehende Jurist, dass die Notwehr, der wohl wichtigste Rechtfertigungsgrund ist und trotz ihres schneidigen Abwehrrechts einige Grenzen hat. Doch was passiert rechtlich, wenn ich aus Angst oder Furcht auf den Angreifer einschlage oder trete, obwohl der Angriff auf mich schon vorbei ist? Der Bundesgerichtshof sagt: Das ist strafbar. Wieso das anders sein sollte und in der juristischen Fachliteratur auch anders gesehen wird, soll hier dargestellt werden.
Notwehr unter Nachbarn: Ein Beispiel aus dem Leben
Wir stellen uns vor, ihr Nachbar klingelt bei Ihnen an der Wohnung. Sie machen auf. Es ist dieser Nachbar, der sowieso schon immer laut und aggressiv wirkt. Der unter Ihnen wohnt. Dieser Nachbar, dem jeder versucht, aus dem Weg zu gehen. Vor dem Sie schon seit Jahren Angst haben. Er betritt zielstrebig Ihre Wohnung, drückt Sie mit voller Wucht und der Hand um Ihren Hals an die Wand und schreit Sie an, dass Sie doch mal leise sein und nicht so viel trampeln sollen. Danach geht er wieder. Sie sacken zusammen und ringen nach Luft. Aus Angst und dem Gefühl „rotzusehen“, nehmen Sie sich einen Hammer, laufen ihm hinterher und ziehen ihm den Hammer über den Kopf. Danach rennen Sie wieder in Ihre Wohnung und schließen die Tür.
Die Falllösung des BGH
Der Schlag mit dem Hammer stellt eine gefährliche Körperverletzung dar. Sie ist auch nicht mehr von der Notwehr gedeckt, denn diese erfordert nach § 32 StGB einen rechtswidrigen, gegenwärtigen Angriff. Gegenwärtig ist ein Angriff nur dann, wenn er kurz bevorsteht, gerade stattfindet oder noch andauert. Der Nachbar in unserem Beispiel hatte sich allerdings schon wieder entfernt. Der Angriff war also nicht mehr gegenwärtig. Bis hier hin besteht Einigkeit. Nach § 33 StGB wird allerdings auch die Person nicht bestraft, die die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken (sog. asthenische Affekte) überschreitet.
Nach herrschender Rechtsprechung stellt aber gerade unser Fall keinen sogenannten Notwehrexzess mehr dar.
Die Ansicht des BGH
Unter Juristen ist anerkannt, dass der § 33 StGB in die Überschreitung der Notwehr im Maß (sog. intensiver Notwehrexzess) und die Überschreitung in der Zeit (sog. extensiver Notwehrexzess) unterteilt werden kann. Die Überschreitung im Maß wird unstreitig vom § 33 StGB umfasst, die Überschreitung in der Zeit hingegen nicht.
Unser höchstes Gericht, der BGH, meint, wenn der Angriff nicht gegenwärtig ist, dann läge keine Notwehrlage vor. § 33 StGB baue aber auf dem Notwehrrecht auf und es könne kein Recht überschritten werden, was nicht bestehe.
Die Ansicht der Literatur
Nach der Literatur erfasst § 33 StGB nicht nur die Überschreitung der Notwehr im Maß, sondern auch die in der Zeit. Dabei könne es nicht darauf ankommen, ob die Überschreitung als vorzeitiger Exzess oder als nachzeitiger Exzess geschieht. Dafür spreche zunächst der Wortlaut der Vorschrift: Wenn § 33 StGB von der „Überschreitung“ der Notwehr spricht, so kann es keinen Unterschied machen, ob diese die Intensität oder die zeitlichen Grenzen der Notwehr betrifft.
Wieso die Ansicht der Literatur vorzugswürdig ist
Die Ansicht, die davon ausgeht, dass der § 33 StGB nicht auf den extensiven Notwehrexzess anwendbar ist, verkennt, dass der Sinn und Zweck des § 33 StGB jede Form der Notwehrüberschreitung erfasst, sei sie auf die Stärke der Abwehr oder auf die Zeit bezogen. Wenn es die Straffreistellung beim Überschreiten der Notwehr erklärt und damit rechtfertigt, dass der Konflikt dem Überschreitenden aufgezwungen wurde, weil er sich aus Angst, Furcht oder Schrecken nicht mehr beherrschen konnte, so erfasst der § 33 StGB, in legitimer Weise, sowohl die Zeitgrenze als auch die Maßgrenze der erforderlichen Verteidigung. Wer der ersten Handlung eines Angreifers dadurch zuvorkommt, dass er nach ihm schlägt oder sticht, ist genauso entschuldigt, wie wenn er ihm nach einem bereits geschehenen Angriff nochmals hinterhertritt oder -schlägt. Solange ein realer, rechtswidriger Angriff im Raum steht, ist die Möglichkeit zum Überschreiten der Notwehr, sei es zeitlich oder dem Maße nach, ohne Weiteres gegeben. Der Anwendung von § 33 StGB steht rein begrifflich nichts entgegen. Eine vorschnelle oder nicht rechtzeitig beendete Reaktion auf eine als lebensgefährlich empfundene Bedrohung ist in psychologischer Hinsicht nicht weniger nachvollziehbar als eine in ihrer Stärke überzogene Gegenwehr.
Auch zu einer Legitimation von Selbstjustiz kommt es dadurch nicht. § 33 StGB rechtfertigt keine Tat. Sie bleibt rechtswidrig und ist lediglich entschuldigt. Ebenso wie bei der Überschreitung dem Maße nach, erfolgt zudem eine Beschränkung auf die asthenischen Affekte. Vor allem ist kein „Ausufern des Begriffes der Gegenwärtigkeit“ zu befürchten, weil ein schuldfähiger Täter, der z.B. noch über einen längeren Zeitraum hinweg auf einen bereits bewusstlosen Angreifer eintritt, dies kaum aus „Verwirrung, Furcht oder Schrecken“ tun wird.
Was tun, beim Vorwurf einer Straftat?
Wird Ihnen eine Straftat vorgeworfen raten wir Ihnen zwei Dinge: Schweigen Sie und beauftragen Sie einen Strafverteidiger!
Wir, das Team von HT Defensio, stehen Ihnen bundesweit beim Vorwurf einer Straftat zur Seite. Oft können wir durch einen schriftlichen Antrag das Verfahren zur Einstellung bringen.