7. März 2019

Aussage gegen Aussage – gilt im „im Zweifel für den Angeklagten“?

Der gewohnheitsrechtliche Satz, dass bei nicht behebbaren tatsächlichen Zweifeln in dubio pro reo (= im Zweifel für den Angeklagten) zu entscheiden sei, gilt als rechtsstaatlicher Fundamentalsatz. Dieser Zweifelssatz gebietet es, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung seine Überzeugung zu schöpfen. Die Überzeugung im Sinne des § 261 StPO ist zunächst nur die persönliche, subjektive Gewissheit des Richters von der objektiven Wahrheit.

Wie sind aber die Beweise zu würdigen, wenn „Aussage gegen Aussage“ steht und keine weiteren belastenden Indizien vorliegen?

 

In dubio pro reo bei nur einem Zeugen?

 

Mit der Frage, ob der Zweifelssatz bei einer Aussage gegen Aussage-Konstellation anzuwenden ist, musste sich der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 25.04.2018 – 2 StR 194/17 (LG Gießen) auseinandersetzen und kam zu folgendem Ergebnis:

Wenn das Tatgericht von der Glaubwürdigkeit der Aussage eines einzigen Belastungszeugen überzeugt ist, ist es nicht schon aufgrund des Zweifelssatzes (in dubio pro reo) an der Verurteilung des Angeklagten gehindert.

 

Mit einfachen Worten: Wenn es nur einen einzigen Zeugen gibt (Aussage gegen Aussage!), heißt dies nicht, dass der Angeklagte automatisch freigesprochen wird. Es kommt auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen an.

 

Was tun bei Aussage gegen Aussage-Konstellationen?

 

Aber gerade weil der Angeklagte in diesen Fällen nur wenige Verteidigungsmöglichkeiten besitzt, ist die Aussage dieses Zeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen.

Der Tatrichter muss

  • alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, erkennen und in seine Überlegung einbeziehen
  • sowie das Zusammenspiel aller Indizien in einer Gesamtschau bewerten.

 

 

Nur eine Zeugin

 

In dem Verfahren ging es um sexuelle Übergriffe des Angeklagten zum Nachteil seiner damaligen Lebenspartnerin, die gleichzeitig die einzige Belastungszeugin war. Es lag mithin eine Aussage gegen Aussage Konstellation vor. Nach Angaben der Zeugin sei es zwischen 1997 und 2001 zu mehreren Übergriffen in der gemeinsamen Wohnung sowie in einem Lastkraftwagen gekommen. Die Zeugin vertraute sich im Frühjahr 1999 ihrer Mutter und Großmutter an, die Strafanzeige gegen den Angeklagten erstattete.

Die Kinder der Zeugin sollen gegenüber dem Jugendamt die Missbrauchshandlungen bestätigt haben. Nachdem der Angeklagte jedoch von der gemeinsamen Wohnung verwiesen wurde, habe die Zeugin über Trennungsschmerz geklagt. Auch die Kinder der Zeugin begannen den Angeklagten zu vermissen und zogen ihre Vorwürfe zurück. Sie behaupteten stattdessen, dass sie von der Großmutter instruiert worden seien, entsprechende Angaben zu machen. Die Großmutter habe den Angeklagten nie als Partner der Zeugin akzeptiert.

Daraufhin wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten im Jahre 2000 eingestellt.

 

Verurteilung trotz Aussage gegen Aussage

 

Der Angeklagte zog zurück in die gemeinsame Wohnung und setzte die sexuellen Übergriffe fort. Aus der Beziehung ging im Jahre 2001 eine gemeinsame Tochter hervor. Die Trennung ereilte das Paar aber dennoch, nachdem der Angeklagte eine intime Beziehung mit einer anderen Frau einging.

Der Angeklagte wurde nun doch zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und elf Monaten verurteilt.

 

Revision zum Bundesgerichtshof nur teilweise begründet

 

Die Revision ist nur hinsichtlich des Strafausspruchs, nicht jedoch des Schuldausspruchs begründet. Die Beweiswürdigung unterliege keinen rechtlichen Bedenken, so der BGH. Insbesondere seien keine Lücken in der Beweiswürdigung oder Erörterungsmängel zu verzeichnen.

Das Landgericht habe nicht übersehen, dass die Äußerungen der Zeugin in dieser Aussage gegen Aussage – Konstellation wechselnd waren, was es jedoch mit den jeweiligen Gegebenheiten in der Familie erklärt habe. Die Aussageentstehung und -entwicklung, die Aussagemotivation sowie die Qualität ihrer Angaben habe das Landgericht berücksichtigt. Die Zurücknahme der Aussagen der Kinder halte einer aussagepsychologischen Überprüfung nicht stand: es sprächen viele Hinweise dafür, dass die Zurücknahme der kindlichen Aussagen bewusst falsch von den Kindern getätigt worden sei.

 

Gilt tatsächlich „im Zweifel für den Angeklagten“?

 

So kam der BGH selbst nach diesem recht durchwachsenen Sachverhalt zu einem Ergebnis, das aus der Sicht des Strafverteidigers doch einige Fragen in dieser Aussage gegen Aussage Situation aufwirft und an der Rechtsstaatlichkeit dieses Urteils – gerade in Hinblick auf den Zweifelssatz „in dubio pro reo“ – erhebliche Zweifel erweckt. Der im Strafrecht formulierte Mindeststandart einer Verurteilung „jenseits eines vernünftigen Zweifels“ geht weit zurück ins Mittelalter der juristischen Literatur. Die Unschuldsvermutung ist das Grundprinzip der gesamten Strafjustiz. Im Lichte dieser prägenden Prinzipien bleibt es zu hoffen, dass auch in Fällen der „Aussage gegen Aussage“ ein gerechtes und die Unschuldsvermutung nicht missachtendes Urteil gefällt wird.

 

Möglichst frühzeitig einen Strafverteidiger kontaktieren!

 

Sollte Ihnen in einer Aussage gegen Aussage-Konstellation eine Straftat vorgeworfen werden, kontaktieren Sie möglichst frühzeitig einen auf das Strafrecht spezialisierten Anwalt. Gern können Sie sich hierfür in der Kanzlei von Strafverteidiger Dr. Hennig mit Standorten in Lüneburg, Lübeck, Hamburg, Hannover und Kiel für ein Erstgespräch melden.