von: Lisa Maslanka
Fachanwalt für Strafrecht Dr. Hennig und Rechtsreferendar Göttert haben in einem G-20 Verfahren am Amtsgericht Kiel wegen gefährlicher Körperverletzung, tätlichen Angriffs auf Polizeibeamte und schweren Landfriedensbruch nach nur zwei Hauptverhandlungstagen einen Freispruch gegen die Staatsanwaltschaft durchgesetzt. Diese hat ohne Erfolg auf Verurteilung plädiert.
Dem Mandanten wurde insbesondere vorgeworfen, im Rahmen des G-20-Gipfels Glasflaschen auf Polizeibeamte geworfen zu haben. Der Mandant, der zwar demonstriert hat, aber weder zur linksautonomen Szene noch zum schwarzen Block gehört, hat den Tatvorwurf von Anfang an bestritten. Der Kieler Student hat lange unter den schwerwiegenden Vorwürfen gelitten, bis Dr. Hennig mit der Unterstützung von Rechtsreferendar Göttert in der vergangenen Woche einen Freispruch erwirkte.
Wieso wird ein G-20-Verfahren – der Gipfel fand in Hamburg statt – in Kiel verhandelt?
Der Mandant war zum Tatzeitpunkt Heranwachsender. Dann gilt nicht das Tatortprinzip, sondern das Wohnortprinzip. Die beiden Polizeizeugen hatten behauptet, eine vermummte Person beim Werfen der Flaschen beobachtet zu haben. Die Person habe eine Sturmmaske aufgehabt und auffällig gelbe Handschuhe getragen. Man habe die Person über zwanzig Minuten vom Hamburger Fischmarkt verfolgt. Wohlgemerkt befanden sich zum Zeitpunkt der Verfolgung tausende Demonstranten und Hundertschaften von Polizisten auf der Straße. Überall flogen Gegenstände. Kriegsähnlicher Zustand. Gleichwohl behaupteten die Beamten, die ihre Aussagen ersichtlich auswendig gelernt hatten, sie hätten die vermummte Person durchgehend unbemerkt verfolgt und beobachtet. Schließlich habe sich die Person der Vermummung abgezogen. Kurz danach kam es zum Zugriff durch die Festnahmeeinheit. Merkwürdig nur: keine gelben Handschuhe und keine Sturmmaske beim Festgenommenen; unserem Mandanten. Die Beamten hatten aber auch nicht gesehen, dass sich der Verfolgte dieser Gegenstände entledigt hätte. Sie hatten sogar betont, dass es ihnen vermutlich aufgefallen wäre.
Es lag auf der Hand was passiert war. Im Getümmel hatten die Beamten die zu verfolgende Person verwechselt. Die Allerweltsbekleidung passte auf eine Vielzahl von Demonstranten. Nach dem ersten Verhandlungstag sah dennoch alles nach Verurteilung aus. Die Verteidiger bestanden darauf, die Originalvideos der Polizei zu besorgen. Bisher gab es nur Standbilder in der Akte. Tatsächlich zeigte das Video den Mandanten unmittelbar vor der angeblichen Tatzeit unvermummt und mit panischem Blick ob der Gewalt von Demonstranten und Polizisten. Hier hätte er längst vermummt sein müssen, wäre er der Werfer gewesen. Zudem zeigte das Video die Festnahme. Es war deutlich zu sehen, mit welch massiver unverhältnismäßiger Gewalt eine Vielzahl von Polizeibeamten sinnlose Gewalt gegen eine völlig verschüchterte und überraschte Person anwendeten.
Völlig atypisch für eine Freispruch gerichtete Verteidigung: Der Mandant durfte frei reden und machte am zweiten Tag nicht mehr von seinem Schweigerecht Gebrauch. Selten ein guter Rat, aber in diesem Fall ein zusätzliches Argument. Sein Bericht war glaubhaft. Im Lichte strafrechtlicher Beweislastverteilung hätte es eigentlich nicht notwendig sein sollen, dass er sich zur Sache äußert.
Das Gericht zögerte, doch mit dem zweiten Tag erkannte auch der Richter, dass Vieles für die Unschuld spricht. In langen und flammenden Plädoyers wurden eine Vielzahl von Argumenten, die den Rahmen dieses Beitrags sprengen würden, für die Unschuldsvermutung vorgetragen. Es folgte nach langer Urteilsberatung der erlösende Freispruch.
Strafverteidiger Dr. Hennig über die Polizei in dem Verfahren: „Gewalt, Rassismus und Lügen zur Schaffung von Ermittlungsergebnissen sind allgegenwärtig in der deutschen Polizeiarbeit. Es gibt gute und rechtsstaatliche Polizisten, aber wer kritisch ist, beobachtet zunehmend bedenkliche Entwicklungen. Dieses Verfahren hat abermals ein erschreckendes Bild auf den Zustand der Polizei offenbart.“
Neben dem Freispruch hatte Dr. Hennig auch erreicht, dass die Polizisten entgegen der Unsitte in deutschen Gerichten nicht bewaffnet vernommen wurden. Nach einem langen Antrag verfügte der Richter, dass die Waffen in seinem Saal nicht getragen werden.
Resümee: Ohne die Verteidigung wäre hier ein Unschuldiger verurteilt worden. Dieses Verfahren beweist einmal mehr wie wichtig effektive Verteidigung in einem rechtsstaatlichen Verfahren ist. Dr. Hennig und Referendar Göttert haben Zweifel gesät, wo keiner mehr gezweifelt hat und am Ende nicht nur der Unschuldsvermutung sondern der Unschuld zum Durchbruch verholfen.
Strafverteidiger Dr. Hennig über das Gericht in diesem Verfahren: „Der zuständige Richter musste viel ertragen, aber ist durchgehend fair gewesen und hatte das Verfahren im Griff. Sowohl prozessual als auch im Ergebnis. Das Verfahren zeigt, dass die diskursive Dialektik der Strafprozessordnung häufig ein geeignetes Mittel ist auch materiell richtige Ergebnisse zu erzielen. Ich habe keinerlei Vertrauen in die deutsche Strafjustiz, aber dieser Richter hat wie manch wenige seiner Kollegen/Kolleginnen einen kleinen Beitrag geleistet, der zumindest dazu veranlasst, nicht alle dort tätigen Personen über einen Kamm zu scheren.“