von ht-strafrecht | 06. April 2025 | Defensio

Wann beginnt das menschliche Leben? – Die strafrechtliche Grauzone zwischen Schwangerschaftsabbruch und Totschlag

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ein Blogbeitrag von Rechtsreferendar Dominik Tomaszewski

„Wer einen Menschen tötet, wird bestraft.“ So eindeutig dieser Grundsatz des Strafgesetzbuches scheint, so unklar ist die Antwort auf die Frage, wann ein Mensch im strafrechtlichen Sinne entsteht. Während das Zivilrecht klare Kriterien vorgibt, fehlt bis heute eine gesetzgeberische Definition im Strafrecht. Stattdessen hat der Bundesgerichtshof (BGH) durch seine Rechtsprechung festgelegt, wann das Leben beginnt – eine umstrittene Praxis, die im schlimmsten Fall ärztliche Entscheidungen zu Totschlagsdelikten macht.

 

Schwangerschaftsabbruch oder Totschlag? Sekunden entscheiden über Haft oder Straffreiheit

Die Grenze zwischen einem straflosen Schwangerschaftsabbruch und einer schwerwiegenden Tötungsstraftat ist oft fließend. Während ein Schwangerschaftsabbruch nach §§ 218 ff. StGB unter bestimmten Voraussetzungen straffrei bleibt, wird die vorsätzliche Tötung eines Neugeborenen nach § 211 StGB (Mord) oder § 212 StGB (Totschlag) mit mindestens fünf Jahren Haft bis hin zur lebenslangen Freiheitsstrafe geahndet.

Beispielhafte Gegenüberstellung:

  • Ein Arzt nimmt einen legalen Schwangerschaftsabbruch vor: Straflos, sofern die Vorgaben des § 218a StGB eingehalten werden.
  • Ein Neugeborenes wird kurz nach der Geburt vorsätzlich getötet: Es greifen die Tötungsdelikte des Strafgesetzbuches – eine Haftstrafe ist unumgänglich.
  • Ein nicht eindeutig definiertes Zwischenstadium? Hier entscheidet die Rechtsprechung, was dazu führen kann, dass minimale zeitliche Unterschiede über eine Geldstrafe oder lebenslange Haft entscheiden.

 

Wann beginnt das Leben? – Die Rechtsprechung des BGH zur Geburt

Da der Gesetzgeber bislang keine klare Definition liefert, hat der Bundesgerichtshof durch seine Urteile den Beginn des menschlichen Lebens in zwei wesentlichen Szenarien festgelegt:

1. Natürliche Geburt: Beginn mit den Eröffnungswehen

Bereits 1983 entschied der BGH, dass das menschliche Leben im strafrechtlichen Sinne mit Einsetzen der Eröffnungswehen beginnt (Urt. v. 7.12.1983 – 1 StR 665/83). Diese medizinische Phase, in der sich der Muttermund zu öffnen beginnt, markiert damit juristisch den Übergang vom Fötus zum Menschen. Eine gesetzliche Grundlage fehlt bis heute.

2. Geburt per Kaiserschnitt: Beginn mit der Uteruseröffnung

Noch problematischer ist die Situation bei operativen Entbindungen. Ein Fall aus dem Jahr 2020 zeigt die strafrechtliche Brisanz dieser Grauzone: Zwei Ärzte führten einen Kaiserschnitt durch, bei dem ein gesundes Kind entnommen wurde, während das zweite, schwer geschädigte, aber überlebensfähige Kind mit einer Injektionslösung getötet wurde. Der BGH entschied, dass die Eröffnung der Gebärmutter bereits den strafrechtlichen Geburtszeitpunkt darstellt – es handelte sich somit nicht um einen Schwangerschaftsabbruch, sondern um Totschlag (Beschl. v. 11.11.2020 – 5 StR 256/20).

Konsequenz: Wäre die Tötung des Kindes vor der Uteruseröffnung erfolgt, hätte es sich um einen potenziell gerechtfertigten Schwangerschaftsabbruch nach § 218a Abs. 2 StGB gehandelt. Der Unterschied? Sekunden.

 

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