von: Jonas Göttert, Rechtsreferendar
Am 13.12.2019 ist das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung in Kraft getreten. Die bisherigen Regelungen zur Pflichtverteidigung wurden dadurch verändert. Das Gesetz gilt ab Datum des Inkrafttretens für alle neuen und laufenden Verfahren. Grund für die Reform war die Umsetzungspflicht der EU-Richtlinie (2016/1919) über Prozesskostenhilfe in Strafverfahren.
Was Sie zu der Neuregelung wissen müssen, erfahren Sie hier:
Vorab: Was ist Pflichtverteidigung?
Die Pflichtverteidigung wird im Gesetz als „notwendige Verteidigung“ bezeichnet. Das Gesetz unterscheidet insoweit nur zwischen „notwendiger Verteidigung“ und „Wahlverteidigung“. Wahlverteidigung meint den „Normalfall“, also einen selbst gewählten und mandatierten Anwalt.
Viele glauben, „Pflichtverteidigung“ habe etwas mit dem Geldbeutel des Beschuldigten zu tun oder ein „Pflichtverteidiger“ sei ein Anwalt, der beim Staat angestellt ist. Beides ist falsch.
In den Fällen der sogenannten notwendigen Verteidigung (besonders schwere Fälle) herrscht schlicht Anwaltszwang. Diesen Anwalt kann der Beschuldigte aber stets selbst auswählen. Tut er dies kann sich dieser gewählte Anwalt als Pflichtverteidiger beiordnen lassen (sog. „Wahlpflichtverteidiger“). Das heißt, er kann die sogenannten Pflichtverteidigergebühren beim Staat abrechnen. Unabhängig davon, ob der Beschuldigte Harz-4-Empfänger oder Multimillionär ist. Ob der Anwalt zusätzlich ein Honorar vom Mandanten verlangt, hängt vom Einzelfall ab. Wählt der Beschuldigte keinen Anwalt selbst aus, wird ein Pflichtverteidiger vom Gericht bestellt. Dies sollten Sie als Beschuldigter unbedingt vermeiden, da die Gerichte vielfach besonders bequeme Verteidiger auswählen (sog. „Verurteilungsbegleiter“).
Auch nach der Reform sind die Fälle der notwendigen Verteidigung völlig unabhängig von den finanziellen Verhältnissen des Beschuldigten.
Was hat sich geändert?
Die wichtigsten Änderungen finden Sie hier im Überblick:
Die Fälle der notwendigen Verteidigung in § 140 StPO wurden erweitert:
- Eine notwendige Verteidigung liegt jetzt auch vor, wenn zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung vor einem Schöffengericht stattfindet (§ 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO). Faktisch war dies schon vor der Reform der Fall.
- Sobald feststeht, dass eine Vorführung vor einem Richter zum Zwecke der Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung stattfinden soll, ist ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben (§ 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO).
- Das Mindestmaß der vorherigen Haftdauer ist gestrichen worden (früher 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO a.F.). Ist ein Beschuldigter inhaftiert, herrscht Anwaltszwang.
- Ausdrücklich wurde nun die „Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge“ aufgenommen (§ 140 Abs. 2 StPO). Diese wird ab 1 Jahr Freiheitsstrafe angenommen. Schon in der alten Fassung wurde das Gesetz so ausgelegt, zu Klarstellungszecken ist dies jetzt auch ausdrücklich normiert.
Den Zeitpunkt über die Entscheidung der Bestellung hat der Gesetzgeber in § 141 Abs. 2 StPO vorverlagert:
- Sobald eine Vorführung vor Gericht zur Entscheidung über Haftfragen erfolgen soll, ist von Amts wegen zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Beiordnung vorliegen. Gemeint ist dabei schon der Zeitpunkt, ab dem eine zukünftige Vorführung feststeht; so z.B. nach vorläufiger Festnahme, wenn keine Freilassung erfolgen soll.
- Auch schon vor einer Vernehmung des Beschuldigten oder der Durchführung einer Gegenüberstellung ist die Erforderlichkeit der Beiordnung zu prüfen.
- Wie auch nach alter Rechtslage ist spätestens bei Anklageerhebung über die Bestellung eines notwendigen Verteidigers zu entscheiden. Hier bekommt der Beschuldigte nochmals die Gelegenheit, sich selbst einen Verteidiger auszusuchen.
Die Regelungen rund um das Verfahren der Bestellung eines Pflichtverteidigers wurden geändert:
- In Eilfällen entscheidet nun die Staatsanwaltschaft nach § 142 StPO.
- Dauer und Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung und die Entpflichtung sind jetzt in § 143 StPO geregelt.
- Erstmalig regelt 144 StPO nun die Bestellung mehrerer Verteidiger.
- Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen ist jetzt die sofortige Beschwerde nach § 142 Abs. 7 StPO.
Insgesamt ist das grundlegende System beibehalten worden und bleibt deshalb hinter den Erwartungen vieler Experten zurück. Die Änderungen stärken aber die Beschuldigtenrechte und sind daher ein Schritt in die richtige Richtung.
Kann ich selbst einen Pflichtverteidiger beantragen?
Ja. Der Beschuldigte hat nach § 141 Abs. 1 S. 1 StPO jetzt ein eigenes Antragsrecht. Der Beschuldigte kann und sollte dieses Antragsrecht unmittelbar nach der ersten Belehrung ausüben.
Ist in dem Antrag kein bestimmter Rechtsanwalt genannt, dann gilt § 142 Abs. 6 Satz 2 StPO. Der Pflichtverteidiger wird dann aus dem Gesamtverzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer (§ 31 BRAO) ausgewählt. Dort soll entweder ein Fachanwalt für Strafrecht oder ein anderer Rechtsanwalt, der geeignet ist, ausgewählt werden.
Die Beschränkung auf Fachanwälte oder andere geeigneten Rechtsanwälte soll die Qualität der Pflichtverteidigung verbessern, nachdem die gerichtliche Auswahl der Pflichtverteidiger in der Vergangenheit vielfach kritisiert wurde. Ob die Regelung zum gewünschten Erfolg führen wird, bleibt abzuwarten.
In Ihrem Antrag sollten Sie daher darauf achten, nach Möglichkeit selbst einen guten Strafverteidiger zu benennen.
Gibt es im Strafrecht auch die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe?
Nein. Eine Prozesskostenhilfe gibt es im Strafverfahren auch nach der Gesetzesreform nicht. Obwohl die umzusetzende EU-Richtlinie von Prozesskostenhilfe spricht, bleibt es in Deutschland beim bisherigen System der notwendigen Verteidigung. Auch gebührenrechtlich gibt es keine Änderungen. Eine Pflichtverteidigung bestimmt sich ausschließlich danach, ob ein Fall des § 140 StPO vorliegt. Die Einkommensverhältnisse werden dabei nicht berücksichtigt.
Zahlt meine Rechtsschutzversicherung die Anwaltskosten?
Rechtsschutzversicherungen übernehmen die Rechtsanwaltskosten im Strafverfahren in aller Regel nicht. Ausnahmen gelten etwa für Verkehrsstrafsachen, Verkehrsordnungswidrigkeiten und Fahrlässigkeitsvorwürfe. In bestimmten Ausnahmefällen existiert auch ein erweiterter Strafrechtsschutz.
Was mache ich, wenn ich Beschuldigter in einem Strafverfahren bin?
Sobald Ihnen der Tatvorwurf eröffnet wurde, können Sie unverzüglich einen Rechtsanwalt im Strafrecht aufsuchen und zunächst von Ihrem Schweigerecht Gebrauch machen.
Im Zweifel wenden Sie sich frühzeitig an Fachanwalt für Strafrecht Dr. Hennig oder Fachanwalt für Strafrecht Albrecht und ihr Team. Wir prüfen für Sie auch die Möglichkeit der Beiordnung in Ihrem Verfahren.