Aktuelle Rechtsprechung zu den sogenannten „Raser-Fällen“:
Wir haben es alle schon gehört, und dennoch kommt es mal hier und da vor, dass der rechte Fuß das Gaspedal meint durchdrücken zu müssen. Man würd‘s ja anders machen, wenn man nur die Zeit hätte. Doch wer hat die schon? Und irgendwie reizt den einen oder anderen doch auch die völlige Hingabe in die Macht der Geschwindigkeiten. Das Spiel mit dem Feuer. Na wenn da mal nichts schiefgeht.
So erging es auch zwei jungen Rasern in Köln im nunmehr rechtskräftigen Urteil des BGH vom 04.12.2018 im sogenannten „Raser-Fall“. Sie konnten dem Reiz nicht widerstehen. Und es ging schief.
Die damals 21 und 22 Jahre alten Angeklagten hatten sich am 14.04.2015 zu einem Rennen hinreißen lassen. Gegen 18:45 fuhren die beiden mit zwei leistungsstarken Fahrzeugen in Köln im öffentlichen Verkehr. Bei einer langgezogenen Linkskurve kam der vorausfahrende Angeklagte bei einer Geschwindigkeit von 95 km/h ins Straucheln und verlor die Kontrolle über sein Fahrzeug. Er erfasste eine auf dem Radweg fahrende 19-jährige Studentin, die wenig später ihren erlittenen schweren Verletzungen erlag.
Das LG Köln hatte die beiden Angeklagten am 14.04.2016 zunächst jeweils wegen fahrlässiger Tötung zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren bzw. einem Jahr und neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Strafkammer hatte zunächst bei der Bemessung der Freiheitsstrafe auch dem Strafzweck der Generalprävention Beachtung geschenkt, denn sie ist von einer „gemeinschaftsgefährlichen Zunahme“ solcher oder ähnlicher Straftaten im Kölner Stadtgebiet ausgegangen. Dennoch hat das Landgericht die Vollstreckung ausgesetzt und eine günstige Sozialprognose gestellt (§ 56 Abs. 1 StGB), das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB bejaht und ferner gemeint, die Verteidigung der Rechtsordnung gebiete es nicht, den Angeklagten die Strafaussetzung zur Bewährung zu versagen (§ 56 Abs. 3 StGB). Als wesentlichen Inhalt der günstigen Prognose zog es die soziale Eingliederung, den Schulabschluss und die berufliche Perspektive beider Angeklagter heran. Die Staatsanwaltschaft hat dies beanstandet. Auch der 4. Strafsenat des BGH sah das anders und hob mit Urteil vom 06.07.2017 dieses Urteil auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung an das LG zurück. Denn sowohl die Einschätzung der besonderen Umstände des § 56 Abs. 2 StGB, als auch die Anwendung des § 56 Abs. 3 StGB weisen Rechtsfehler auf.
Nach § 56 Abs. 1 wird die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt, wenn davon auszugehen ist, dass schon die Verurteilung an sich Warnung genug für den Verurteilten ist und dazu führen wird, dass keine Straftaten mehr begangen werden. Geht es um höhere Freiheitsstrafen, wie hier, so kann das Gericht nach § 56 Abs. 2 StGB die Strafe nur aussetzen, wenn es nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände feststellt, die eine Aussetzung begründen und insbesondere nach § 56 Abs. 3 StGB dem Rechtsempfinden der Allgemeinheit nicht widersprechen.
Dies gelang dem LG im erstinstanzlichen Urteil nicht. Es zog zur Begründung der besonderen Umstände keine über die bereits bei der Sozialprognose gestellten Aspekte hinausgehenden Umstände heran. Vielmehr baute es nur auf die Erwartung, dass die Verurteilten nicht mehr erneut straffällig werden. Das genügte den Anforderungen nicht, die umso höher angesiedelt werden, je näher der Urteilsausspruch an die Zwei-Jahres-Grenze kommt. Zudem geht das Gericht fehlerhaft davon aus, dass das Vorliegen besonderer Gründe den Versagungsgrund nach Abs. 3 in der Regel ausschließen. Dies widerspricht der Systematik des Gesetzes, der gerade die Aussetzung trotz günstiger Sozialprognose und besonderen Umständen versagt, wenn die vollumfängliche Würdigung von Tat und Täter ein ungerechtfertigtes Zurückweichen von der Kriminalität darstellen. Gerade hier hätte das Gericht seine generalpräventiven Erwägungen einbetten müssen.
Im Ergebnis wird mit dem nunmehr rechtkräftigen Urteil des BGH die Aussetzung der Strafe zur Bewährung abgelehnt. Zu erkennen ist hier eine Tendenz, die sich klar darin abzeichnet, illegale Autorennen härter zu ahnden. Bewährungsstrafen sollen hier nach der Rechtsprechung die Ausnahme sein. Und um diesen Ausnahmecharakter zu begründen, brauch es wesentlich mehr als floskelhafte oder gar falsche Erwägungen.
Der BGH fordert daher eine substanzielle Auseinandersetzung und Abwägung der widerstreitenden Interessen des Abs. 2 und Abs. 3 und eine entsprechend tragfähige Argumentation, die das Vorliegen besonderer Umstände begründet. Dies wird im Lichte des jüngsten Urteils nunmehr erschwert und führt im Ergebnis dazu, dass die Versagung der Strafaussetzung grundsätzlich näherliegt, als deren Bewilligung. Zumindest erfordert es eine Fülle von Überzeugungsarbeit, hiergegen zu argumentieren.
Ein Beitrag von Rechtsreferendarin Esra Odabasi