Justizskandal: Freispruch bei versuchtem Totschlag – 6 Monate zu Unrecht in U-Haft wegen schlampiger Arbeit von Staatsanwaltschaft und Landgerichtskammer

Datum: 16.07.2021

Strafverteidiger: Fachanwalt für Strafrecht Dr. Hennig, Prof. Dr. Gerhold, RAin Mayer

Vorwurf: Versuchter Totschlag

Ergebnis: Freispruch

Wo? Landgericht Hannover

 

totschlag-strafrecht

 

Seit über 6 Monaten saß die 19-jährige Mandantin wegen versuchten Totschlags in Untersuchungshaft. Das Defensio-Verteidigerteam kam erst kurz vor Prozessbeginn in das Verfahren.

Hintergrund war eine nächtliche Auseinandersetzung in der Drogenszene mit ca. 10 – 15 Beteiligten kurz nach Weihnachten am Steintor in Hannover. Eine Gruppe „Albaner“ habe drei russische Männer angegriffen und schwer mit Messern verletzt. Lediglich ein Tatverdächtiger konnte bzgl. der Messerstiche festgenommen werden – und unsere Mandantin. Auf einem Video, aufgenommen von einem Tatzeugen in einiger Entfernung, soll unsere Mandantin zu sehen gewesen sein, wie sie zusammen mit den „Albanern“ kämpfte und mit heftigen Tritten gegen den Kopf des am Boden liegenden und schwer verletzten Opfers getreten habe. Unsere heranwachsende Mandantin sei aufgrund ihrer auffälligen Kleidung auf dem Video identifiziert worden, da sie sich ebenfalls in der Drogenszene aufgehalten habe und den Polizeibeamten aus der Szene bereits bekannt war.

Die Staatsanwaltschaft warf unserer Mandantin anhand der Bewertung des Inhalts des Videos vor, in Tötungsabsicht auf das Opfer eingetreten zu haben.

Die Mandantin beteuerte bereits von Anfang an, dem Opfer am Boden lediglich habe helfen zu wollen. Diese Aussage sah die Staatsanwaltschaft durch das Video widerlegt.

Obwohl die Polizei stets von zwei am Boden liegenden Personen sprach und nicht sicher festzustellen vermochte, ob es auch Tritte gegen den Kopf einer dieser Personen gegeben hatte, haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Kammer des Landgerichts zunächst nicht erkannt, dass auf dem verletzten Opfer noch eine zweite Person lag, die das Opfer am Boden angriff. Erst durch Vortrag der Verteidigung wurde dies festgestellt. Mit dem Beweisantrag unseres Of Counsels Prof. Dr. Gerhold verlangten wir, dass sich die Kammer das Video um ein Vielfaches verlangsamt nochmal genau ansehen muss. Bei genauerer Betrachtung des Videos war die Nothilfesituation der unschuldigen Mandantin klar erkennbar.

Die Unschuld der Mandantin war auf Video festgehalten. Zudem gab es bezeichnender Weise keinerlei Trittverletzungen am Kopf oder Oberkörper des Geschädigten, so dass die Anklage von Beginn an widerlegt war.

Nachdem alle Zeugen gehört worden waren und die Verteidigung zahlreiche Beweisanträge gestellt hatte, endete das Verfahren abrupt am 4. Hauptverhandlungstag mit einem Freispruch, der einzig dem Einsatz des Verteidigerteam geschuldet war. Der Haftbefehl wurde aufgehoben. Die Mandantin konnte sofort, überglücklich, nach Hause gehen. Dies nachdem man sie zu Unrecht 6 Monate in U-Haft gesperrt hatte.

Dieser Fall zeigt, wie einseitig und unsauber die Strafjustiz in einigen Fällen arbeitet. Hätte sich die Staatsanwältin das Video bereits im Ermittlungsverfahren unvoreingenommen und in Ruhe – verlangsamt und vergrößert – angesehen, wäre unserer unschuldigen Mandantin ein solcher Prozess erspart geblieben. Nur aufgrund der akribischen Verteidigungsarbeit konnte eine langjährige Haftstrafe und ein Fehlurteil verhindert werden.

 

Schlampigkeit, Rechtsunkenntnis und unendliche Arroganz prägten das Agieren der Strafjustiz in diesem Verfahren. Nur durch einen enormen Einsatz konnte der Gerechtigkeit zum Durchbruch verholfen werden.