Unser Entwaffnungsantrag wurde von Fachanwalt für Strafrecht Dr. Hennig entwickelt und von Strafverteidiger Christian Albrecht fortgeführt und nun am Amtsgericht Ludwigslust erfolgreich angebracht. Diverse Male wurde er zuvor an deutschen Gerichten mit unhaltbaren Begründungen zurückgewiesen. Immer mehr Strafverteidiger aus dem Hamburger Raum stellen mit unterschiedlichen Begründungen diesen Antrag.
Was war passiert? Ein Polizeibeamter erschien vor Gericht, um dort als Zeuge auszusagen. Doch wie erscheinen Polizeizeugen häufig vor Gericht? In Uniform, inklusive sämtlicher Ausrüstung, also auch ihrer Dienstwaffe. Dies mag unter praktischen Gesichtspunkten auch verständlich sein. Schließlich sagt der Zeuge häufig während seiner Dienstzeit aus und muss anschließend wieder für einen Einsatz zur Verfügung stehen.
Aber können rudimentäre praktische Erwägungen des Polizeizeugen bzw. seines Dienstherrn von so überragender Bedeutung sein, dass der Kern strafprozessualer Grundsätze leerläuft? Wir meinen: „NEIN!“
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Albrecht stellte daher vor der Befragung des Polizisten den Antrag, dass der Polizeizeuge vor Aussagebeginn seine Dienstwaffe ablege. Die sachlichen Argumente zu diesem Antrag werden nachfolgend in komprimierter Form dargestellt.
Objektive Gefahrenlage
Zunächst besteht durch das Vorhandensein einer Waffe objektiv eine Gefahrenlage. Sämtliche Prozessbeteiligte sind einem tatsächlichen Risiko ausgesetzt. Die Waffe kann zumindest theoretisch jederzeit vom Polizeibeamten selbst, aber vor allem von einem Dritten, der sich die Waffe unerlaubt und plötzlich beschafft, gegen eine Vielzahl von Personen auch mit tödlicher Wirkung eingesetzt werden. Ist das ein rein theoretischer Fall? Zum Glück bisher schon. Doch tragischer Weise wurde in deutschen Gerichten durchaus schon geschossen, teils mit tödlicher Wirkung. Zuschauer hatten illegal eine Waffe in den Saal geschmuggelt. Genauso kann ein Zuschauer einem Polizisten die Waffe abnehmen oder sich als Polizist verkleiden. Wir hoffen, dass es ein theoretischer Fall bleibt. Sollte dieser theoretische Fall irgendwann tödliche Wahrheit werden, so wird plötzlich eine große Mehrheit dieser Forderung Nachdruck verleihen wollen. Warum erst handeln, wenn es zu spät ist?
Voreingenommenheit des Gerichts
Neben der abstrakten Gefahrenlage erschüttert die bewusste Duldung von bewaffneten Polizeizeugen das Vertrauen in die Unabhängigkeit des Gerichts. Denn dem Zeugen wird ein Vertrauensvorschuss gewährt, den kein anderer Zeuge und erst recht keiner der Verfahrensbeteiligten genießt. Dieses Privileg ist im Hinblick auf die Tatsache, dass diese Berufsgruppe, nach den Erfahrungen dieser Kanzlei, aber auch empirisch belegt, in größtem Ausmaß und wie keine andere Profession mit dem Gesetz in Konflikt gerät, mit rationalen Erwägungen nicht vereinbar. Es wäre genauso grotesk, wenn ein Richter, Anwalt oder Staatsanwalt im Saal eine Waffe tragen dürfte.
Unzulässiger Eingriff in Beschuldigtenrechte
Zudem ist es für jeden dem Frieden verpflichteten Menschen eine enorme Herausforderung, bewaffnete Zeugen konfrontativ zu befragen. Das Konfrontationsrecht gehört zu den elementaren Beschuldigten- bzw. Verteidigerrechten, Art. 6 III lit. d EMRK. Bewaffnete Zeugen vermitteln symbolisch eine Machtstellung, die sie allerdings auch bei rein faktischer Betrachtung tatsächlich innehaben. Die so erzeugte Sonderstellung des Zeugen stellt einen Eingriff in das Konfrontationsrecht dar. Mangels Rechtsgrundlage liegt zudem ein Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes vor. Bewaffnete Zeugen sind mit dem Anspruch an ein faires und objektives Verfahrens unvereinbar.
Sitzungshoheit des Gerichts wird unterlaufen
Durch den bewaffneten Zeugen findet eine groteske Machtverschiebung statt. Die Sitzungshoheit des Gerichts läuft leer. Die faktisch mächtigste Person in einem Raum voller unbewaffneter Menschen ist der einzig bewaffnete Mensch.
Unzulässige aussagepsychologische Beeinflussung
Vor allem aber ist eine Waffe, wie zahlreiche Studien belegen, von größter aussagepsychologischer Wirkung. Eine Waffe hat Auswirkungen auf die Wahrnehmung einer Person und damit auf diejenige aller Verfahrensbeteiligten. Sie kann Angst, besondere Fokussierung, Ablenkung, einen unterbewussten Vertrauensvorschuss oder besonderes Misstrauen hervorrufen. Der Strafprozess dient der Erforschung der Wahrheit. Das ist des Richters Ziel. Warum sollte ein Gericht also trotz dieser Auswirkungen auf das Gericht, insbesondere die Schöffen, aber auch trotz der Wirkung auf alle anderen Verfahrensbeteiligten, diese Störung der Wahrheitsfindung zulassen? Es gibt keinen ernsthaften, rationalen Grund.
Warum reagiert die Justiz nicht?
Die Erfahrung zeigt, dass sich Gerichte aus verschiedenen Motiven diesen Argumenten verschließen. Man kann nur rätseln über die Triebfeder: Generelle Ablehnung von Anträgen engagierter Verteidiger, Faulheit oder Ignoranz?
Dennoch folgte ein Richter am Amtsgericht Ludwiglust dem Antrag. Nachdem er dem Verteidiger zwar mitteilte, der Antrag sei im Vergleich zur Dimension des Verfahrens überzogen, bat er den Polizisten seine Dienstwaffe bei der Wachtmeisterei abzugeben. So geschah es.
Die Staatsanwaltschaft, die das Recht der Stellungnahme hat, hielt dies im konkreten Fall für vollkommen unsachgemäß, ebenfalls überzogen und äußerte sich ohne argumentativen Inhalt: „Das ist ein Polizist, der hier im Dienst ist und als Zeuge aussagt. Der darf das. Der Zeuge ist dafür ausgebildet.“ Eine sachlich und intellektuell qualifizierte Auseinandersetzung mit den Argumenten der Verteidigung erfolgte nicht. Dies zeigt einmal mehr – auf sehr erschreckende Weise – wie es bisweilen um die Geisteshaltung bei der Strafverfolgung bestellt ist.
Der Beitrag soll Kollegen Mut machen, aber auch bei Richtern sowie der Staatsanwaltschaft einen Denkanreiz geben, wie man in Zukunft mit dem Thema bewaffneter Polizeizeugen umgehen kann.
Ein Beitrag von Strafverteidiger Christian Albrecht und Fachanwalt für Strafrecht Dr. Hennig