13. Dezember 2018

Der Heimtückemord in der Rechtsprechungsentwicklung

In einem Beschluss vom 31.07.2018 – 5 StR 296/18 hat der BGH entschieden, dass das Heimtückische bei einer von langer Hand geplanter und vorbereiteter Tat gerade in den Vorkehrungen, die der Täter ergreift, liegen kann, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen – falls sie bei der Ausführung der Tat noch fortwirken. Damit bestätigt und erweitert er seine ständige Rechtsprechung, die durchaus kritisch zu betrachten ist.

Im vorliegenden Fall handelte es sich um eine Beziehungstat, der Angeklagte beschloss, seine ehemalige Partnerin zu töten. Dazu nahm er ihrem 12-jährigen Sohn, den er in seine Gartenlaube gelockt hatte, den Hausschlüssel ab und begab sich in die Wohnung des Opfers, welches zu diesem Zeitpunkt im Wohnzimmer stand und überrascht war.  Er zielte mit einer Schreckschusspistole auf sie und sagte ihr, sie solle leise sein. Nachdem er sie auf ihre Nachfrage, warum er das mache, geschlagen hatte, ging er in die Küche, holte ein Messer mit einer circa 10 cm langen Klinge, ging wieder zu der Frau, packte mit einer Hand ihre Haare, zog ihren Kopf in den Nacken und stach mit dem Messer zweimal in ihre linke Halsseite. Daraufhin verblutete sie innerhalb weniger Minuten.

Zur Beurteilung der Entscheidung ist der Umstand zu betrachten, welcher eine Tötungshandlung zum Mord qualifiziert. Die Rechtsprechung definiert das Mordmerkmal der Heimtücke als „Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung in feindlicher Willensrichtung.“ Der BGH stellt damit ausdrücklich auf die besondere Gefährlichkeit eines heimtückisch verübten Tötungsunternehmens ab (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, § 211 Rn. 46). Der entscheidende Zeitpunkt, zu dem das Opfer arglos sein muss, ist normalerweise der „Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs“ (BGH NStZ 2006, 503, 504). Genau von diesem Grundsatz weicht der BGH jedoch – auch – mit seinem Beschluss ab, wenn er darauf verweist, dass es auch bei einem Auflauern in der Wohnung eines ahnungslosen Opfers gerade nicht entscheidend sein soll, ob und wann das Opfer die Gefahr erkennt (BGH Urt. v. 12.2.2009 – 4 StR 529/08). Vielmehr spricht der BGH davon, dass es zu einer „ungerechtfertigten Einengung des Anwendungsbereichs des § 211 StGB führen“ würde, die Beurteilung, ob Heimtücke vorliegt, „auf die Umstände im Augenblick der eigentlichen Tötungshandlung zu beschränken“. Im vorliegenden Fall behauptet der BGH, dass der Angeklagte mit „dem überraschenden Eindringen in die Wohnung der ahnungslosen Frau ihr von vornherein alle realistischen und zumutbaren Abwehrchancen“ entzog. Das Tückische des Vorgehens zum Zeitpunkt des Eindringens wirke bis zur Tötungshandlung fort.

Genau darin liegt jedoch die Problematik der Definition des Merkmals der Heimtücke selbst. Um besonders verwerflich erscheinende Konstellationen als Mord zu erfassen, konstruiert die Rechtsprechung eine Vielzahl von Ausnahmekonstellationen. Auch die geschlechtsspezifische Selektivität des Heimtückemerkmals wird zuweilen beanstandet – gerade Frauen nutzen typischerweise Begehensweisen, die die Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers ausschließen (BGH NStZ 1984, 20). So erfährt auch dieser Beschluss begründete Kritik, wenn etwa Prof. Dr. Schiemann feststellt, dass sich die Entscheidung in den „Aufweichungsprozess der Konturen der Heimtücke“ einreiht, sie von einer nicht „verfassungskonformen extensiven Auslegung des Heimtückemerkmals“ und dem „faden Beigeschmack der Beliebigkeit“ immer neuer Fallgruppen des BGH spricht (vgl. NStZ 2018, 654, 657). Die schon länger geführte Diskussion um den Reformbedarf des Mordparagraphen wird durch diese Entscheidung wieder befeuert.

 

Ein Beitrag von Rechtsreferendarin Carla Kohl