25. April 2018

Der Fall Puigdemont: Die Rechtsprechung darf sich der Politik nicht beugen

Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht Schleswig erließ am 05.04.2018 einen Haftbefehl gegen Carles Puigdemont, den ehemaligen Regierungschef Kataloniens. Allerdings setzte das Gericht den Vollzug des Haftbefehls gegen die Zahlung einer Sicherheit von 75.000,- € und weitere Auflagen aus. Damit ist Puigdemont auf freiem Fuß, darf die Bundesrepublik bis zum Ende des Auslieferungsverfahrens aber nicht verlassen. Aus Spanien regte sich gewaltiger Widerstand gegen die Entscheidung, die aus Madrid erheblich kritisiert wurde. Dabei war die Entscheidung aus rechtlicher Hinsicht im wesentlichen Ergebnis richtig und verdeutlichte, dass das Oberlandesgericht sich von der politischen Brisanz des Falls nicht beirren ließ.

 

Puigdemont als Regierungschef Kataloniens rief zu Referendum über Unabhängigkeit auf

 

Zu Beginn ein Rückblick: Im Herbst 2017 fand in Katalonien ein Referendum statt, in der die Bürger Kataloniens dazu aufgerufen waren, zu entscheiden, ob sich die Region für unabhängig erklären sollte. Das Referendum wurde von der zentralen Regierung in Madrid für verfassungswidrig erklärt. Puigdemont war zu diesem Zeitpunkt Regierungschef Kataloniens und hatte wiederholt ein solches Referendum gefordert.

Das katalonische Parlament hatte zur Vorbereitung des Referendums ein Haushaltsgesetz verabschiedet, in der Gelder für die Volksabstimmung bereitgestellt werden sollten. Das Gesetz wurde vom spanischen Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Die katalonische Regierung hat dennoch unter Mitwirkung von Puigdemont beschlossen, insgesamt 1,6 Mio. Euro für die Durchführung der Volksabstimmung bereitzustellen. Puigdemont sei im Vorfeld des Referendums von der spanischen Bundespolizei darauf hingewiesen worden, dass es im Rahmen der Wahl zu Gewalttätigkeiten kommen werde. Dennoch habe er an der Durchführung des Referendums festgehalten. Am Wahltag kam es in der Tat zu Ausschreitungen zwischen wahlwilligen Bürgern und der Polizei.

 

Puigdemont mit internationalem Haftbefehl wegen „Rebellion und Korruption“ gesucht

 

Nach der Volksabstimmung wurde diese von der Zentralregierung Spaniens für ungültig erklärt und die Regierung Kataloniens aufgelöst. Mehrere Regierungsmitglieder wurden in Haft genommen. Puigdemont selbst gelang es, nach Dänemark zu fliehen. Am 21.03.2018 erließ der Oberste Gerichtshof Spaniens einen Internationalen Haftbefehl gegen Puigdemont wegen der Vorwürfe der Straftatbestände „Rebellion“ und der „Korruption“, die sich im spanischen Strafrecht finden. Am 25.03.2018 wurde Puigdemont nach seiner Einreise nach Deutschland kontrolliert und auf Grundlage des Haftbefehls vorläufig festgenommen, woraufhin die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holsteins die Anordnung der Auslieferungshaft anordnete, bis zu der endgültigen Entscheidung über die Auslieferung nach Spanien.

Entscheidend für die Frage der Haft ist zunächst, dass die Auslieferung an Spanien nicht von vornherein unzulässig erscheint. Die Auslieferung müsste erfolgen, soweit es in Deutschland vergleichbare Straftatbestände gibt und die Voraussetzungen der Untersuchungshaft erfüllt sind.

 

OLG: Keine Strafbarkeit wegen Hochverrats nach deutschem Recht

 

Zunächst lehnt das Oberlandesgericht eine Strafbarkeit wegen „Rebellion“ ab. In Deutschland würde eine Strafbarkeit wegen Hochverrats gegen den Bund gemäß § 81 Abs. 1 Strafgesetzbuch und wegen der Nötigung von Verfassungsorganen gemäß § 105 Strafgesetzbuch in Betracht kommen, den Tatbestand der „Rebellion“ kennt das deutsche Strafrecht in dieser Form nicht. Beide Tatbestände verlangen aber, dass die Tat mittels Gewalt oder der Drohung mit Gewalt erfolgt. Puigdemont hat unstreitig nicht selbst Gewalthandlungen vorgenommen. Die Staatsanwaltschaft Spaniens hat diesbezüglich ausgeführt, dass seine Kenntnis von möglichen Gewaltausschreitungen für die Erfüllung des Tatbestands ausreichen würde.

Das Oberlandesgericht führte dazu aus, dass die am Wahltag stattgefundene Ausschreitungen Puigdemont zwar zurechnen seien, diese abernach Art, Umfang und Wirkung nicht die Schwelle eines strafbaren Hochverrates erreichen würden. Das ist zutreffend, allerdings könnte man bereits die Zurechenbarkeit verneinen, da Puigdemont nach aktuellen Kenntnissen die Ausschreitungen in keiner Weise unterstützt oder veranlasst hat. Das bloße Organisieren einer Volksabstimmung, auch wenn mit Gewaltausschreitungen zu rechnen ist, kann nicht die persönliche und strafrechtliche Zurechnung dieser Gewalt zur Folge haben.

Das Oberlandesgericht zieht den Vergleich mit einer politischen Demonstration, bei der im Vorfeld Gewaltauschreitung angekündigt worden waren. Im Gegensatz zu einer gewaltsamen Demonstration, mit der die Ernsthaftigkeit einer politischen Forderung, notfalls mittels Gewalt, unterstrichen werden soll, diente die katalonische Volksabstimmung aber nicht der Nötigung der Zentralregierung Spaniens, sondern vielmehr dem Wunsch nach gewaltloser Verwirklichung der Unabhängigkeit Kataloniens. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts sind somit zu kurz gegriffen, da die Durchführung der Volksabstimmung für sich genommen nicht zwangsläufig zu Gewalt geführt hätte. Erst durch die Einschaltung der Bundespolizei Spaniens, die den Auftrag hatte, die Bürger vom Wählen abzuhalten, kam es zu Ausschreitungen.

 

OLG: Kein Nachweis eines Vermögensschadens

 

Sodann führte das Oberlandesgericht zu dem Vorwurf der „Korruption“ aus, dass es sich bei dem Sachverhalt um eine Untreue von öffentlichen Geldern gemäß § 266 Strafgesetzbuch handeln könnte. Hier nahm das Oberlandesgericht zwar grundsätzlich eine strafbares Verhalten Puigdemonts an, wies aber darauf hin, dass nicht hinreichend belegt sei, ob ein Vermögensschaden vorliege. Es sei nämlich seitens Puigdemont behauptet worden, dass die Mittel zur Finanzierung der Volksabstimmung aus privaten Spenden stammen würden und öffentliche Gelder nicht veranschlagt worden wären.

Der Einwand des Oberlandesgerichts ist zwar zutreffend, allerdings ist bereits zweifelhaft, ob hier eine Tathandlung im Sinne der Untreue vorliegt. Puigdemont hat nämlich nicht zweckgebundene, öffentliche Gelder entgegen ihrem gewidmetem Zweck für die Finanzierung der Volksabstimmung verwendet, sondern bereits im erlassenen Haushaltsgesetz diese Mittel bereitzustellen versucht und letztlich durch Beschluss auch endgültig bereitgestellt. Dass das Haushaltsgesetz für verfassungswidrig erklärt wurde, ist insofern irrelevant, als dass andernfalls alle rechtswidrigen, hoheitlichen Zahlungen zwangsläufig eine Untreue darstellen würden, soweit öffentliche Gelder dafür veranschlagt worden sind; der Untreuetatbestand wäre uferlos.

Im Ergebnis hat das Oberlandesgericht den Vollzug des Haftbefehls ausgesetzt, da das Verfahren auch mit milderen Mitteln, nämlich mit diversen Auflagen, zu sichern sei und die Haft aus diesem Grund unverhältnismäßig sei. Diese Entscheidung ist zumindest folgerichtig.

 

Gerichtsentscheidung durch spanische Zentralregierung und oberstes spanisches Gericht zu Unrecht kritisiert

 

Aus Madrid wurde, wie zu erwarten war, die Entscheidung des Oberlandesgerichts wenig positiv aufgenommen. Kritisiert wurde die Entscheidung nicht nur von der spanischen Zentralregierung, sondern auch von Mitgliedern des Obersten Gerichts Spaniens, die den ursprünglichen Haftbefehl erlassen hatten. Aussagekräftiger ist an dieser Stelle eine Meldung von über 100 rechtswissenschaftlicher Professoren an spanischen Hochschulen, die die Entscheidung des Oberlandesgerichts rechtlich absegneten. An dieser Stelle wird deutlich, dass das Verfahren gegen Puigdemont nicht darauf gerichtet ist, das vermeintlich begangene Unrecht auszugleichen, sondern vielmehr einen auf politischer Symbolwirkung gestützter Racheakte seitens der Regierung Spaniens darstellt.