6. November 2018

BGH bezüglich Anforderungen an einen Täter-Opfer-Ausgleich (§ 46a Nr. 1 StGB)

In einem aktuellen Urteil vom 13.09.2018 – 5 StR 107/18hat der BGH auf die auf Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil des Landgerichts Braunschweig im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Das Rechtsmittel des Angeklagten hiergegen bleibt erfolglos.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher und schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und die Tatwerkzeuge eingezogen. Nach den Feststellungen des Landgerichts entschloss sich der Angeklagte, den Nebenkläger zu töten, lockte den Nebenkläger aus dessen Wohnung und verschaffte sich mit einem Zweitschlüssel Zugang zur Wohnung, um auf den Nebenkläger zu warten. Bei der Rückkehr des Nebenklägers begann er, mit einem Hammer auf dessen Kopf einzuschlagen, verfolgte das Opfer mehrere Minuten lang durch die Wohnung und fügte mit einem „Cuttermesser“ tiefe Schnitte an Kopf, Gesicht, Hals und Händen zu. Dem Opfer gelang es jedoch, aus der Wohnung zu flüchten und der Angeklagte gab sein Tötungsvorhaben auf.

Der Nebenkläger erlitt laut dem Landgericht mindestens 49 Verletzungen und verschiedene nachhaltige Beeinträchtigungen. Am letzten Tag der Hauptverhandlung haben sich der Angeklagte und der Nebenkläger zur Abgeltung sämtlicher bisher entstandener materieller und immaterieller Schaden vergleichsweise darauf geeinigt, dass der Angeklagte sich zur Zahlung von 50.000 Euro und dazu verpflichtet, dem Nebenkläger sämtliche „künftigen bisher noch nicht vorhersehbaren materiellen und immateriellen Schaden“ zu ersetzen.

Das Landgericht hat die Strafe gemildert, da es die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB als gegeben erachtet hat. § 46a Nr. 1 StGB besagt, dass das Gericht die Strafe mildern kann, wenn der Täter „in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt“. Der Regelungszweck des aus dem Jugendstrafrechts übernommenen Täter-Opfer-Ausgleichs liegt auch darin, dass die „Vorschrift einen Anreiz für Ausgleichsbemühungen seitens des Täters schaffen [soll], dem Opfer durch sein persönliches Einstehen für die Folgen der Tat, durch immaterielle Leistungen oder auch durch materielle Schadensersatzleistungen Genugtuung zu verschaffen.“ (BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg StGB § 46a Rn. 1)

Laut Urteil des Landgerichts könne der Vergleichsschluss als kommunikativer Prozess zwischen Täter und Opfer sowie als Verantwortungsübernahme durch den Angeklagten angesehen werden. Dem stehe nicht entgegen, dass der Angeklagte Umstände der Tatbegehung beschönige und sich nicht beim Nebenkläger entschuldigt habe. Bezüglich dieser Strafzumessungsentscheidung hat der BGH nun jedoch entschieden, dass die Erwägungen des Schwurgerichts einer rechtlichen Nachprüfung nicht standhalten.

Zwar stehe dem vertypten Strafmilderungsgrund des § 46a Nr. 1 StGB weder die Tatsache entgegen, dass aufgrund der langjährigen Haftstrafe während langer Zeit nur mit minimalen Leistungen zu rechnen sein wird, noch, dass der Angeklagte seine Motivation zum Abbruch der Tat beschönigt habe. Diesbezüglich bestätigt der BGH seine bisherige Rechtsprechung. Jedoch fehle es laut BGH an Feststellungen darüber, aus welcher Motivation heraus das Opfer dem Vergleich zugestimmt habe.

Allein die Tatsache einer vertraglichen Vereinbarung besage nichts darüber, ob das Opfer die Vereinbarung als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert habe. Laut  BGH lasse sich auch „bei wohlwollender Lektüre“ den Urteilsgründen keine „friedensstiftende Akzeptanz“ entnehmen.

Der schwer gekennzeichnete Nebenkläger sei durch den Angriff in eine unverschuldete finanzielle Notlage geraten und sei auf die Auszahlung des bei dem Angeklagten sichergestellten Betrages vielmehr angewiesen. Daher spräche nichts dafür, dass der Nebenkläger den friedensstiftenden Ausgleich habe annehmen wollen. Das Schwurgericht habe sich nicht ausreichend damit auseinandergesetzt, ob der Angeklagte nicht vielmehr taktisch vorgegangen sei – in der Hoffnung auf eine milde Strafe. Für diese Annahme spräche auch die Tatsache, dass die während der Haftzeit zu leistenden Raten nicht geeignet seien, die Schmerzensgeldansprüche des Nebenklägers zu befriedigen.

Zum einen setzt sich der BGH, indem er sich den Ausführungen des Generalbundesanwalts anschließt, zu seiner noch wenige Absätze zuvor bestätigten Rechtsprechung in Widerspruch, dass die minimalen Leistungen während der mehrjährigen Haftstrafe einer Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB nicht entgegenstehen. Zum anderen werden durch dieses Urteil sehr hohe Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellungen und das Erfordernis des kommunikativen Prozesses gestellt. Grundsätzlich ist für den Täter-Opfer-Ausgleich eine von beiden Seiten akzeptierte, ernsthaft mitgetragene Regelung Voraussetzung (BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg StGB § 46a Rn. 20). Jedoch droht das „ernsthafte Erstreben um Wiedergutmachung“ eines Täters in § 46a StGB seine Bedeutung zu verlieren, wenn eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem Angeklagten und dem Opfer wie im vorliegenden Fall als lediglich taktisches Vorgehen eingeordnet wird. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH an diesen mit dem Gesetzeswortlaut kaum zu vereinbarenden hohen Anforderungen festhalten wird.

Ein Beitrag von Rechtsreferendarin Carla Kohl