ein Beitrag von Rechtsreferendarin Daria Ivanova
Deutschland ist das einzige Land in Europa, in dem Strafprozesse noch nicht digital aufgezeichnet werden. Also schreiben sich Richter, Staatsanwälte, Verteidiger und Angehörige der Presse nach wie vor die Finger wund. Ein Gesetz mit einem komplizierten Namen soll nun Abhilfe schaffen.
Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz. So also heißt das Gesetzgebungsvorhaben, mit dem Marco Buschmann, FDP, der deutschen Strafjustiz ein Upgrade ins Zeitalter der Digitalisierung bescheren will. Bis zum 1. Januar 2030, so der Wille des Bundesjustizministers, sollen alle Gerichtssäle technisch aufgerüstet sein. Alle Hauptverhandlung an Land- und Oberlandesgerichten sollen dann in Bild und Ton aufgezeichnet und mithilfe einer Transkriptionssoftware in ein Textdokument überschrieben werden können. Die Aufzeichnungen sollen den Richter:innen, Staatsanwält:innen und Verteidiger:innen während des Prozesses, zur Verfügung gestellt werden. Im Idealfalle noch am Tag der Hauptverhandlung.
Digitalisierung der Strafjustiz: Wie ist der Status quo?
Die deutsche Justiz ist nicht gerade für ihre technische Fortschrittlichkeit bekannt. Nur an Amtsgerichten werden die wesentlichen Inhalte einer Hauptverhandlung in einem Sitzungsprotokoll dokumentiert. Ausgerechnet an Land- und Oberlandesgerichten (da also, wo es um besonders viel geht), machen sich Richter:innen, Staatsanwält:innen und Verteidiger:innen im Strafverfahren immer noch weit überwiegend handschriftliche Notizen vom Verlauf der Verhandlung sowie von Schlüsselmomenten entscheidender Zeugenaussagen. Eine wörtliche Protokollführung findet nicht statt, Ton- und Bildaufnahmen sind unzulässig. In etlichen alten Gerichtssälen fehlen gar genug Steckdosen, um Laptops anzuschließen. Jeder Verfahrensbeteiligte ist auf sein Gedächtnis sowie auf seine Mitschriften angewiesen.
Was bedeutet das neue Gesetz für Angeklagte und ihre Verteidiger:innen?
Ein wesentlicher Pluspunkt ist, dass der Verteidiger sich handschriftliche Notizen sparen kann und sich voll und ganz auf die Verteidigung seiner Mandantschaft konzentrieren kann. Doch es gibt noch weitere Vorteile:
(1) Um einen für die Mandantschaft günstigen Umstand ins Hauptverhandlungsprotokoll zu bekommen, weiß sich manch ein Verteidiger nicht anders zu helfen, als „unsinnige“ oder gar unzulässige Beweisanträge zu stellen. Auf solche Anträge kann dann endlich verzichtet werden. Das spart allen Beteiligten Zeit und Energie.
(2) In schwierigen und langwierigen Verfahren wäre ein Richterwechsel unter Umständen möglich, etwa bei Ausfall des bisherigen Richters, da die Verfolgung der audiovisuellen Aufzeichnung es ermöglicht, dass ein neuer Richter sich auf den neuesten Stand der Hauptverhandlung bringt.
(3) Auch in Fragen der Revision bietet das neue Gesetz eine Verbesserung: Widersprüche zwischen den schriftlichen Urteilsgründen und mündlichen Angaben werden offenbar und können offen thematisiert werden.
Welche Bedenken werden vorgebracht?
Natürlich gibt es auch Bedenken. Manche Kritiker sehen durch die Aufzeichnung das Persönlichkeitsrecht von Zeugen und Angeklagten bedroht. Da aber die Aufzeichnungen ausschließlich zu Verfahrenszwecken verwendet werden (eine aus den USA bekannte Fernsehübertragung aufsehenerregender Strafverfahren ist hierzulande nicht geplant), überzeugt dieser Einwand nicht. Andere kritisieren die mögliche Missbrauchsgefahr. Eine jede Aufzeichnung berge das Risiko, dass sie in die falschen Hände gerät. Um dem vorzubeugen, ist aber die Einführung eines neuen Strafgesetzes geplant, das die Weitergabe und Veröffentlichung von Aufzeichnungen aus der Hauptverhandlung unter Strafe setzt.
Aus unserer Sicht ist das Gesetz zu begrüßen. Es befördert die Objektivität in Strafverfahren vor den Land- und Oberlandesgerichten. Es ist ein Hilfsmittel, um die Verteidiger-Arbeit noch besser und professioneller zu gestalten.
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