Die Selbstbelastungsfreiheit (auch „nemo tenetur“ Grundsatz genannt) zählt zu den zentralen Beschuldigtenrechten im Strafverfahren. Trotzdem herrscht unter Nichtjuristen nicht selten der Irrglaube, ein Beschuldigter wäre verpflichtet aktiv an der Aufklärung des Tatvorwurfs mitzuwirken. Es liegt in der Natur des Menschen sich gegenüber einem Vorwurf zu rechtfertigen. Im Strafprozess ist es für den Beschuldigten indes häufig ratsam zu schweigen und die aktive Gestaltung des Prozesses dem Verteidiger zu überlassen.
Nach herrschender Meinung ergibt sich der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit aus dem Grundrecht der Menschenwürde (Art. 1 I GG). Dies wird damit begründet, dass das Bedürfnis sich nicht selbst zu belasten, einen Ausdruck des natürlichen Selbsterhaltungstriebs darstellt und ein Aussagezwang damit eine unzumutbare Nötigung zu einem gleichsam widernatürlichen Verhalten darstellen würde.
Ein weiterer Irrglaube ist die Annahme, dass das Schweigen als eine Art Schuldeingeständnis gewertet wird. Ein solcher Schluss ist nicht zulässig. Beruft sich ein Beschuldigter auf die Selbstbelastungsfreiheit, schweigt und verweigert die Mitwirkung an der Sachaufklärung, so darf das Gericht dies für den Beschuldigten nicht negativ werten. Das Gericht darf ein Urteil nicht damit begründen, dass aus dem Schweigen des Angeklagten abgeleitet werden könne, er hätte etwas zu verbergen. Eine solche Argumentation würde den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit faktisch entwerten, da der Beschuldigte befürchten muss, durch die Berufung auf den nemo tenetur Grundsatz benachteiligt zu werden.
Wird bei der Beweisgewinnung ein Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit festgestellt, so führt dies zu Unverwertbarkeit des Beweismittels. Dies zeigt welchen Stellenwert dieser Grundsatz hat. Er gehört zum Kernbereich der Beschuldigtenrechte und ist verfassungsmäßig, wenn auch nicht explizit, garantiert.
Sollten auch Sie mit einem strafrechtlichen Vorwurf konfrontiert werden, berufen Sie sich unbedingt auf den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit und verweigern Sie die Aussage. Erst nach Akteneinsicht durch einen Strafverteidiger kann entschieden werden, ob eine Aussage (sog. Einlassung) – etwa durch schriftliche Erklärung des Verteidigers – sinnvoll ist.
Kommentar Dr. Hennig: „Bei etwa 90 Prozent der Verfahren, die ich allein durch einen ausführlich begründeten schriftlichen Antrag zur Einstellung mangels Tatverdacht bringe, lasse ich den Mandanten schweigen. Der Antrag orientiert sich dann an der Aktenlage.“
Ein Beitrag von Rechtsreferendar David Hölldobler