13. Januar 2019

Cold Case Ermittler in Hamburg auf skandalträchtigen Irrwegen

von: Elisa Diaz Macias, Rechtsreferendarin

 

Ein Opfer der Hamburger Strafjustiz kann gerade noch befreit das Jahr 2019 beginnen. Die skandalträchtige Geschichte hätte jedoch auch anders ausgehen können.

 

Was ist in diesem Cold Case Verfahren passiert?

Der Mann wurde im Oktober 2017 gänzlich unverhofft wegen versuchten Mordes und versuchter Vergewaltigung festgenommen und in diesem Sommer vor Gericht gestellt.

Der Vorwurf: Er soll im Jahr 1980 sein damals 16-Jähriges Opfer heimtückisch mit einem Messer angegriffen haben. Das Mädchen habe sich totgestellt und er soll versucht haben, sie zu vergewaltigen. Als Passanten sich genähert haben, soll er die Flucht ergriffen haben. Das Mädchen konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden. Der Mann beteuert seine Unschuld. Tatort war eine Kleingartensiedlung in Hamburg- Steilshoop, einem Viertel, das zur damaligen Zeit mit Betonklötzen und einem eher schwierigen Milieu aufwarten konnte.

 

 

Die Gerüchteküche brodelt

Die Gerüchteküche um den mutmaßlichen Täter brodelte. Die Tatwaffe und damit ein wichtiges- wenn nicht DAS wichtigste- Beweismittel ging zwischenzeitlich in der Asservatenkammer „verloren“. Die Ermittlungen damals ergaben keinen Hinweis auf den Täter und auch jetzt hatte man allenfalls Indizien. Dem Täter und heutigem Opfer der Hamburger Strafjustiz auf die Schliche gekommen, wollte eine „Cold-Case“ Einheit der Hamburger Polizei dennoch sein. Die Staatsanwaltschaft zerrte ihn basierend auf dieser Arbeit entgegen der im Strafrecht geltenden Unschuldsvermutung vor Gericht.

 

„Cold“ ist dieser „Case“ nach wie vor.

Es wurde damals wie heute ein Foto der Tatwaffe veröffentlicht. Das jedenfalls schien nicht „verloren gegangen zu sein“. Eine junge Frau meldete sich bei den Ermittlern und gab an, sie sei damals ebenfalls von einem jungen Mann attackiert worden und habe doch auch damals schon, Sie erinnern sich- die Gerüchteküche- den Namen des Tatverdächtigen genannt.

Die Täterbeschreibung passte zwar überhaupt nicht zu dem Tatverdächtigen, man konzentriert sich dennoch in den Ermittlungen auf den unschuldigen Mann, durchsuchte seine Wohnung und ließ ihn zunächst laufen, um ihn dann keine 24 Stunden später erneut zu Hause aufzusuchen und schließlich festzunehmen. Natürlich nicht, ohne vorab die Medien zu informieren, damit es später auch schöne Erinnerungsfotos von diesem Desaster geben würde. Man brach also die Wohnung des Mannes auf, brüllte ihn an, richtete eine Schusswaffe auf ihn und nahm ihn fest.

Besonders hervorgetan hat sich in diesem Ermittlungsverfahren ein 37-Jähriger, besonders ehrgeiziger Ermittler, der den unschuldigen Mann persönlich verhaftete und natürlich auf besagtem Erinnerungsfoto zu sehen ist. In dem Prozess vor dem Landgericht offenbarte sich schließlich, dass dieser Ermittler die Beteiligten in diesem Verfahren in einer Weise befragt haben soll, die fassungslos macht und gleichzeitig gute Strafverteidiger zur Höchstform auflaufen lässt.

Hierzu jedoch später mehr.

 

Fragwürdige Cold Case Ermittlungen

Übersetzt heißt dies in diesem Fall erst einmal, dass der Ermittler in seinem Verfolgungseifer dem damaligen Opfer im Rahmen der sequentiellen Wahllichtbildvorlage Fotos vorlegte, auf denen zufällig nur einer der Männer Kleidung aus der damaligen Zeit trug.  Die Frau erkannte den mutmaßlichen Täter auf diese Weise mit „80-90-prozentiger Wahrscheinlichkeit“ wieder. Vor Durchführung der Wahllichtbildvorlage soll sie besagtem Ermittler jedoch auch mitgeteilt haben, dass sie einen ganz anderen Mann als mutmaßlichen Täter wiedererkannt haben will, nämlich einen Mann, der mit seinen Serienmorden damals als sogenannter „Görde-Mörder“ für Schlagzeilen sorgte. Dies ignorierte der Ermittler schlicht, er war ja schließlich kurz davor, den Fall endlich zu lösen.

Er soll dann auch noch dem in diesem Verfahren wichtigsten Belastungszeugen eine Belohnung in Höhe von 3000 € in Aussicht gestellt haben, wenn dieser den Angeklagten mit seiner Aussage belasten würde und ihm vorgetäuscht haben, dass sich auf der Tatwaffe ohnehin dessen Fingerabdrücke befinden würden. Der Zeuge meldete sich nach kurzer Bedenkzeit bei dem Ermittler und behauptete, die Erinnerungen seien zurückgekommen. Er sei sich nun sicher, seinem ehemaligen Jugendfreund habe die Tatwaffe gehört.

Vor Gericht war er sich dessen dann nicht mehr so sicher. An die Einzelheiten der Tatwaffe konnte sich der Belastungszeuge nur deshalb so gut erinnern, gibt er später vor Gericht an, weil in dem Vernehmungszimmer ein Foto von dieser gehangen haben soll.

Dem Beschuldigten spiegelte der Ermittler ebenfalls vor, dass sich auf der Tatwaffe dessen Fingerabdrücke befinden würden. Er ließ sich jedoch hiervon nicht beirren und stritt die Tat weiterhin ab.

 

Schließlich: Freispruch!

Der Kammer des Landgerichts Hamburg reichte der Beweiswert der Indizien schließlich nicht für eine Verurteilung. Es sprach den armen Mann frei und ließ das Opfer der Tat in Ratlosigkeit zurück. Die Vorsitzende Richterin fand deutliche, jedoch schwache Worte angesichts dessen, was sich in diesem Verfahren offenbart hatte.

Sie sagte: „In diesem Verfahren gibt es nur Verlierer“.

Die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft müsse wohl verbessert werden. Polizei und Staatsanwaltschaft schieben sich in diesem Cold Case Verfahren nun gegenseitig die Schuld in die Schuhe. Die Staatsanwaltschaft soll die Ermittler etwa zur schnellen Festnahme des Mannes gedrängt haben. Der Anwalt des Mannes versucht nun, eine Entschädigung für das erlittene Unrecht zu erlangen.

 

Geforderte Reform der Haftentschädigung

Die von vielen Bundesländern geforderte Reform der Haftentschädigung, die eine Verdoppelung ihrer Höhe auf 50 € pro Hafttag vorsieht, steht indes noch aus. Derzeit bleibt es bei den in § 7 Abs.3 StrEG normierten lächerlichen 25 € pro Tag und einer Brandmarkung, die der zu Unrecht Beschuldigte wohl nie wieder loswerden wird.

Das Opfer der Tat erhält keine Entschädigung und muss sich darauf beschränken, seine Hoffnungen wieder zu begraben.

Der eifrige Ermittler des Cold Case Verfahrens soll inzwischen versetzt worden sein und sich einem geschätzten Kollegen und Strafverteidiger anvertraut haben.

Ob das Verhalten des Ermittlers strafbar ist, erscheint jedoch fraglich, denn nach § 343 StGB, der sogenannten Aussageerpressung, macht nur der Polizist und Amtsträger sich strafbar, der Beteiligte in einem Strafverfahren körperlich misshandelt, ihnen Gewalt androht oder sie seelisch quält, um sie zu nötigen, eine bestimmte Aussage zu tätigen.

Ganz so weitreichend sind die in Rede stehenden Vorwürfe hier dann doch nicht. Ein Skandal bleibt es jedoch.

Eine polizeiinterne Arbeitsgruppe gelangte bei ihrer Untersuchung der Ermittlungsmethoden in diesem Fall zu dem Ergebnis, dass diese „nicht in allen Punkten den gebotenen hohen Anforderungen gerecht geworden“ seien. Eine maßlose Untertreibung.

 

Verbotene Vernehmungsmethoden gem. § 136a StPO

In § 136a der Strafprozessordnung sind diese „hohen Anforderungen“, die sogenannten verbotenen Vernehmungsmethoden geregelt. Sie gelten für Zeugen und Beschuldigte in einem Strafverfahren gleichermaßen und sind letztlich eine Ausformung der in Art. 1 Abs. 2 GG verankerten Menschenwürde, die, wie Sie sicher wissen „unantastbar“ ist.

Es heißt dort:

(1) Die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Beschuldigten darf nicht beeinträchtigt werden durch Misshandlung, durch Ermüdung, durch körperlichen Eingriff, durch Verabreichung von Mitteln, durch Quälerei, durch Täuschung oder durch Hypnose. Zwang darf nur angewandt werden, soweit das Strafverfahrensrecht dies zulässt. Die Drohung mit einer nach seinen Vorschriften unzulässigen Maßnahme und das Versprechen eines gesetzlich nicht geregelten Vorteils sind verboten.

(2) Maßnahmen, die das Erinnerungsvermögen oder die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten beeinträchtigen, sind nicht gestattet.

Wo kämen wir denn da auch hin, wenn Beschuldigte und Zeugen in diesem Land in ihrer Vernehmung gefoltert, gequält und unter Drogen gesetzt werden dürften, um sie zu der gewünschten Aussage zu bringen.

Mit „hohen Anforderungen“ hat diese Vorschrift mitnichten etwas zu tun.

Wenn verbotene Vernehmungsmethoden angewandt worden sind, hat dies zur Folge, dass der Beweiswert, dem die so gewonnene Aussage eigentlich innewohnt, in dem Verfahren nicht verwertet werden darf. Es entsteht ein Beweisverwertungsverbot:

(3) Aussagen, die unter Verletzung dieses Verbots zustande gekommen sind, dürfen auch dann nicht verwertet werden, wenn der Beschuldigte der Verwertung zustimmt.

Angreifbar sind Urteile, die auf einer Verletzung dieser Vorschrift beruhen, mit der Revision zum Bundesgerichtshof. Dieser Weg blieb dem Mann aufgrund des Freispruchs glücklicherweise erspart und auch Weihnachten konnte er nun doch zu Hause verbringen.