29. November 2018

Beschleunigungsgebot im Strafprozess

In einem Beschluss vom 05.10.2018 hat der BGH die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18. Juli 2017 verworfen.

Der Angeklagte befindet sich seit seiner Festnahme am 20. Dezember 2016 in Untersuchungshaft. Der Generalbundesanwalt hat im April 2017 Anklage erhoben. Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat am 12. Juni 2017 einen neuen Haftbefehl gegen den Angeklagten erlassen. Gegenstand ist der Vorwurf, der heranwachsende Angeklagte habe sich als Mitglied an der Organisation „Jabhat al-Nusra“, deren Zwecke und deren Tätigkeiten unter anderem darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 und 12 V StGB) sowie Straftaten gegen die persönliche Freiheit zu begehen, beteiligt. Die Verteidiger des Angeklagten beanstanden im Wesentlichen, dass die Hauptverhandlung nicht mit der erforderlichen Beschleunigung geführt worden sei. Während der insgesamt 49 Kalenderwochen bis zum 21. August 2018 sei lediglich an 53 Tagen verhandelt worden, mithin nur an 1,08 Sitzungstagen pro Woche. Außerdem sei die Dauer der Hauptverhandlung an einzelnen Sitzungstagen mit durchschnittlich etwa 350 Minuten zu kurz gewesen.

Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das OLG ist laut BGH zutreffend davon ausgegangen, dass auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 nach wie vor jedenfalls der Haftgrund der Schwerkriminalität vorliegt. Die Untersuchungshaft habe auch mit Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des Angeklagten und dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung bei Berücksichtigung und Abwägung der Besonderheiten des Falles fortzudauern. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen erfordere, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die dem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Bei absehbar umfangreichen Verfahren sei daher stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit im Grundsatz durchschnittlich mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig.

Jedoch sei das Verfahren und insbesondere die Hauptverhandlung an diesen Anforderungen gemessen laut BGH mit der gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden. Der Senatsvorsitzende habe mit zwei Sitzungstagen pro Woche eine straffe und effiziente Verhandlungsführung angestrebt. Bezüglich der Berechnung der durchschnittlichen Verhandlungstage dürfe der Zeitraum der Erkrankung einer erkennenden Richterin insoweit nicht berücksichtigt werden. Es sei zunächst nicht absehbar gewesen, ob die Hauptverhandlung unter Mitwirkung der erkrankten Richterin fortgeführt werden könne. Mit Rücksicht auf den Grundsatz des gesetzlichen Richters sei es geboten, die Hauptverhandlung bis zum Ablauf der in § 229 Abs. 1 und 2 StPO genannten Fristen zu unterbrechen, bevor der Verhinderungsfall festgestellt werden und der Ergänzungsrichter eintreten könne. Zudem habe eine einmonatige Unterbrechung während der Sommerferienzeit bei der Berechnung der durchschnittlichen Verhandlungstage außer Acht zu bleiben. Auch die durchschnittliche Verhandlungsdauer gebe mit etwa 350 Minuten pro Sitzungstag keinen Anlass zu Beanstandungen. Zudem seien Pausen etwa für extrem belastete Dolmetscher notwendig gewesen.

Mit der Entscheidung, es sei geboten, die Hauptverhandlung bis zum Ablauf der in § 229 Abs. 1 und 2 StPO genannten Fristen zu unterbrechen, bevor ein Verhinderungsfall festgestellt werden könne, schließt sich der BGH einem Beschluss vom 8. März 2016 (3 StR 544/15, BGHSt 61, 160, 163 ff.) an. Hinsichtlich der Unterbrechung während der Sommerferienzeit nimmt der BGH auf einen Beschluss des BVerfG Bezug (Beschluss vom 23. Januar 2008 – 2 BvR 2652/07, juris Rn. 53). In Anbetracht der Tatsache, dass eine Fortdauer der Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden kann, wenn ihre Fortdauer auf vermeidbaren Verfahrensverzögerungen beruht, ist diese Entscheidung in ihrem Umfang aber durchaus kritisch zu betrachten.

 

Ein Beitrag von Rechtsreferendarin Carla Kohl