BGH Urt. v. 26.06.2018 1 St 208/18
Die mitunter bemerkenswerten Anforderungen der Tatgerichte an das Notwehrrecht müssen nicht selten vom BGH korrigiert werden. So auch in dieser aktuellen Entscheidung. 32 Abs.2 StGB kommt zugegebenermaßen ein wenig kryptisch daher:
„Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwehren“.
Das Notwehrrecht ist nicht nur aus Sicht eines Strafverteidigers, der darin eine Verteidigungslinie sieht, eine feine Sache. Eine durch Notwehr gerechtfertigte Handlung stellt kein strafwürdiges Unrecht dar. Wer in Notwehr handelt, handelt rechtmäßig also ohne jeden Unwert.
Dem Notwehrrecht liegt das Rechtsbewährungsprinzip zugrunde:
„Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“ – Gewalt darf mit Gewalt erwidert werden.
Das Notwehrrecht kommt dabei schon beinahe biblisch daher, frei nach dem Motto: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Erlaubt ist dem Angegriffen, natürlich je nach biblischer Auslegung, aber jedenfalls nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, sich mit Gewalt zu wehren, auch wenn eine Flucht als „mildestes Mittel“ möglich wäre.
Der Angegriffene kann sich also wehren und braucht eben nicht zu weichen. Einschränkungen gibt es zu diesem Grundsatz natürlich auch. Wer einen Angriff beispielsweise schon durch sein eigenes Verhalten provoziert hat, dem steht kein oder nur ein eingeschränktes Notwehrrecht zur Seite. Demjenigen, der vorher provoziert, gerade um angegriffen zu werden und um dann unter dem „Deckmantel der Notwehr“ zum Gegenschlag auszuholen, steht gar kein Notwehrrecht zu (Absichtsprovokation). Wer lediglich unmittelbar im Vorfeld provoziert (sog. sonst wie vorwerfbare Notwehrprovokation), muss anders als sonst bei der Notwehr zunächst versuchen auszuweichen, wenn dies möglich ist. Wenn dies nicht gelingt und sofern ausreichend, muss er zunächst zu defensiven Abwehrmaßnahmen greifen (sog. Schutzwehr). Nur wenn dies auch nicht zum Erfolg führt oder nicht möglich ist, darf der angegriffene Provokateur zur echten Gegenwehr (sog. Trutzwehr) greifen.
Der hier zu entscheidende Fall lag jedoch bei lebensnaher Betrachtung und auch unter Beachtung dieser Grundsätze im Bereich einer gebotenen und damit zulässigen Notwehr, weil gerade keine hinreichende Provokation festgestellt war. Damit gilt das schneidige Notwehrrecht, bei dem die vorgenannten Einschränkungen nicht bestehen:
Der Beginn der Auseinandersetzung ist eigentlich eine Lappalie und auch das Ende der Geschichte mancherorts ein klassisches Beispiel aus dem täglichen Leben:
Die Freundin des Angeklagten war der Meinung, der spätere Geschädigte schulde ihr noch 20 Euro.
Der spätere Geschädigte war natürlich anderer Meinung. Es fielen gegenseitige Beleidigungen und Beschimpfungen per SMS. Der spätere Geschädigte fuhr vor die Wohnung des Angeklagten, wohl nicht nur, um das Gespräch zu suchen und schrieb ihm: „Komm runter, ich bin da“.
Um nicht alleine und gewissermaßen mit leeren Händen da zustehen, ging der Angeklagte kurzerhand mit seiner Freundin und „mutmaßlich einer Duschstange“, naja jedenfalls einer Metallstange runter. Die Freundin nahm spontan ein Messer mit, zu ihrem eigenen Schutz und natürlich auch um gleichermaßen furchteinflößend zu wirken.
Der spätere Angreifer wartete unten im Auto zusammen mit einer weiteren Person und einem „langen und metallenen Schuhanzieher“, mit dem er „Schlagbewegungen in Richtung des Angeklagten machte“. Er bat den Angeklagten und dessen Freundin dabei recht unsanft, in sein Auto einzusteigen. Es kam natürlich zu einem Kampf zwischen den Beteiligten. Einen „Gewinner“ gab es zunächst nicht. Man stieg jedenfalls nicht in das Fahrzeug, sondern ging zurück in die Wohnung.
Es wurde noch gedroht: „Wehe, wenn ihr nicht noch nochmal runterkommt!“.
Es kam, wie es kommen musste. Der Angeklagte und seine Freundin kamen wieder herunter. Ausstattung dieses Mal: Der Angeklagte bewaffnet mit einem Messer und seine Freundin unbewaffnet. Die Duschstange hatte vielleicht ihren Weg zurück an ihren Bestimmungsort gefunden. Der spätere Angreifer war ebenfalls bewaffnet, diesmal mit einem Messer und einem Hammer.
Es kam also zu einer erneuten körperlichen Auseinandersetzung, die vor Gericht nicht mehr genau nachvollzogen werden konnte. Der Angeklagte gewann jedenfalls schnell die Oberhand. Der Geschädigte ergab sich schließlich. Ganz unverletzt ist er natürlich auch nicht geblieben bei diesem Kampf. Sieger vorerst: Der Angeklagte.
Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung. Der BGH hob das Urteil auf. Das Notwehrecht war nämlich gerade nicht eingeschränkt.
Feststellungen, die eine Einschränkung wegen sonst wie vorwerfbarer Notwehrprovokation hätten nach sich ziehen können, existierten laut des BGH nicht:
Kein pflichtwidriges Vorverhalten liegt darin, dass es zuvor wechselseitige Beschimpfungen und Beleidigungen per SMS gegeben hatte, der Angeklagte seinen Besucher dann empfing. und sich damit in die Auseinandersetzung hinein begeben hat.
Der Angeklagte hatte auch beim zweiten Mal in keiner Weise mit seinem Verhalten einen Kampf provoziert, sondern war von dem Angreifer hierzu schlicht aufgefordert worden.
Dass der Angeklagte gewissermaßen „gerüstet“ in dem Kampf zog, kann ihm nicht zum Nachteil gereichen. Der Angreifer muss den Angegriffenen eben so nehmen, wie er ihn vorfindet.
Wenn auch Ihnen eine Straftat im Kontext körperlicher Auseinandersetzungen vorgeworfen wird, wenden Sie sich an Dr. Hennig und sein Team. Nicht nur das Notwehrrecht kann eine sinnvolle Verteidigungsstrategie – diese wird bei H/T Dr. Hennig & Thum stets mit dem Mandanten abgestimmt – darstellen.
Ein Beitrag von Elisa Diaz Macias