VON HT-STRAFRECHT | 29. APR 2021 | STRAFRECHT

OLG-Hamburg: Kein Beweisverwertungsverbot bei Daten aus EncroChat-Überwachung

von: Rechtsreferendar Fabian Pflefka

Französischen Behörden ist es gelungen sich in das EncroChat-Netzwerk einzuhacken. So konnten sie von April bis Ende Juni 2020 mehrere Millionen Chats mitlesen und auswerten. Anschließend wurden riesige Datenmengen der Chats an die jeweiligen zuständigen Behörden in ganz Europa verteilt. Dadurch erfolgten gezielt unzählige Verhaftungen; auch in Deutschland. Gleichzeitig wurden mehrere Tonnen Drogen sowie Bargeld in Millionenhöhe beschlagnahmt.

Was ist EncroChat?

Bei EncroChat handelt es sich um einen Dienstleistungsanbieter, der mittels End-to-End-Verschlüsselung sichere Kommunikation durch eigene Software auf sog. Krypto-Handys garantierte. Hierfür nutzte der Dienstleister herkömmliche Android-Smartphones, welche entsprechend präpariert wurden. So konnte bspw. über die Taschenrechner-App mittels einer bestimmten Rechenaufgabe die EncroChat-Messanger-App geöffnet werden. Die Nutzung dieser EncroChat-Software erfolgte via Abonnement, wofür mehrere hundert Euro pro Jahr fällig wurden.

Nutzung solcher Krypo-Handys strafbar?

Das bloße Verwenden von Krypto-Handys stellt noch keine strafbare Handlung dar. Wer mit den Handys jedoch Straftaten verübt, macht sich selbstverständlich strafbar.

Verwertbarkeit im Strafverfahren?

Strafrechtler aus ganz Deutschland beschäftigen sich derzeit mit der Frage, ob die gewonnenen Erkenntnisse durch die EncroChats, im Strafverfahren als Beweismittel verwertet werden dürfen. Dabei ist vor allem problematisch, dass die Daten nicht auf deutschem Boden gesichert werden konnten, sondern durch französische Behörden in Frankreich.

 

Für die Strafverfolgung hat der deutsche Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) die Quellen-TKÜ (§ 100a StPO) und die Online-Durchsuchung (§ 100b StPO), wovon die französischen Behörden hier Gebrauch gemacht haben, an das Vorliegen eines konkreten Tatverdachts bezüglich einer erheblichen Straftat (sog. Katalogstraftat) sowie des Richter- bzw. Kammervorbehalts geknüpft.

 

Die französischen Behörden können zum Zeitpunkt des Zugriffs auf die EncroPhones lediglich vermutet haben, dass über die verschlüsselte Kommunikation Straftaten abgewickelt würden. Sie hatten keine tatsächlichen Anhaltspunkte, ob und welche Straftaten des jeweiligen Nutzers im Raum standen.

 

Auf Deutschland gemünzt bedeutet das, dass die oben beschriebenen gesetzlichen Voraussetzungen für solche Maßnahmen auf deutschem Boden zum Zeitpunkt der Maßnahmen nicht vorgelegen haben oder möglicherweise bewusst umgangen worden sind. Auch gab es nach jetzigem Kenntnisstand keine deutschen Gerichtsbeschlüsse, die diese Maßnahmen in Deutschland nach § 100a und § 100b StPO legitimiert hätten.

 

Zum Verständnis: Die Erfolgsquote von Durchsuchungen alter VW-Bullis an der niederländischen-deutschen Grenze ist hinsichtlich Marihuana höher als bei anderen Fabrikaten. Dennoch begründet das Benutzen eines alten VW-Bullis keinen Anfangsverdacht in einem Rechtsstaat. Das ist vergleichbar mit Encro-Chat-Handys, die schlicht eine sichere Kommunikation ermöglichen sollen. Das ist ein Interesse, das alle Menschen teilen, denen ihre Daten wichtig sind. Nun werden alle Encro-Chat-Nutzer unter Generalverdacht gestellt.

 

OLG-Hamburg: Kein Beweisverwertungsverbot bei Daten aus Encrochat-Überwachung

Das OLG Hamburg macht entgegen dieser Auffassung mit haltloser Begründung deutlich, dass alleine die Nutzung von Encrochat bereits einen Anfangsverdacht in alle Richtungen begründet – und nimmt auch mal gleich rechtliche Wertungen vor, die sicherlich sämtliche Encrochat-Verfahren prägen werden:

Bereits die aufgefundenen großen Mengen von Betäubungsmitteln in sechs der sieben Ausgangsfälle und die initial vorliegenden Informationen über die Chiffrierung im EncroChat-System, der hohe Preis der nicht über ein „offizielles“ Händlernetz vertriebenen Geräte sowie der Verstoß gegen französische Rechtsvorschriften im Hinblick auf die Verschlüsselungstechnik, begründen den konkretisierten Anfangsverdacht zumindest einer Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmittel in nicht geringer Menge gegen die Betreiber von EncroChat nach § 29a BtMG, mithin einer Katalogtat nach § 100a Abs. 2 Nr. 7 lit. b) StPO bzw. § 100b Abs. 2 Nr. 4 lit. b) StPO, die aufgrund der Mengen und des daraus offensichtlich resultierenden hohen Organisationsgrades auch im Einzelfall besonders schwer im Sinne des § 100b Abs. 1 Nr. 2 StPO wog. Die Annahme der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 1, Abs. 5 S. 3 StGB und damit einer Katalogtat nach § 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. c) StPO bzw. § 100b Abs. 2 Nr. 1 lit. b) StPO lag ebenfalls nicht fern.

Es bleibt abzuwarten, wie sich der Bundesgerichtshof sowie das Bundesverfassungsgericht zu dieser doch recht abenteuerlichen These äußern werden.

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