ein Blogbeitrag von Bianca Meyers
Mache ich mich strafbar, wenn ich eine Maßnahme der Polizei mit dem Handy aufnehme und sie so dokumentiere? Kommt drauf an, lautet – wie so oft in der Juristerei – die Antwort auf diese Frage. Das stiftet Rechtsunsicherheit. Höchste Zeit, dass der Gesetzgeber reagiert.
Bürger in Uniform sollen Polizeibeamte sein. Die Werte und Normen unseres Gemeinwesens sollen sie schützen, das ist ihr Job. Sie sollen diesen Werten und Normen aber ihrerseits, genau wie jeder andere Bürger auch, unterworfen sein.
So die Theorie. In der Praxis steht die Polizei zunehmend wegen Polizeigewalt, institutionellem Rassismus und rechten Netzwerken unter Druck. Darf man Machtmissbrauch der Polizei filmisch dokumentieren? Im digitalen Zeitalter, in dem rund 56 Millionen Deutsche ein Smartphone in der Hosentasche haben (Zahl aus dem Jahr 2021) stellt sich diese Frage dringender denn je.
Die Rechtsprechung ist ein Flickenteppich
Die Oberlandesgerichte Zweibrücken und Düsseldorf (es ist oft ein Zufall, dass bestimmte Gerichte sich mit einer bestimmten Rechtsfrage stärker auseinandersetzen als andere) haben zu der Frage bereits wichtige Entscheidungen getroffen. Jüngst hat sich auch das Landgericht Hanau mit diesem Thema befasst. Doch eine klare Linie in der Rechtsprechung findet sich nicht in den Entscheidungen. Liegt eine Strafbarkeit gem. § 201 StGB wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes vor?
Doch worum geht es im Kern eigentlich? Was meint etwa Öffentlichkeit und was verbirgt sich hinter dem § 201 StGB, der die Vertraulichkeit des Wortes schützt? Was genau schützt diese Vorschrift? Was verbietet sie? Konkret heißt es in § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB:
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt […]
Strafbar macht sich also, wer das
nichtöffentlich gesprochene Wort auf einem Tonträger aufnimmt. (Fun fact: Gesprochen meint übrigens auch Gesang, nicht hingen Seufzen oder Gähnen). Was genau als „nichtöffentlich“ angesehen wird, Jura ist ein pain in the a.., ist wiederum nicht wirklich eindeutig definiert. Jedoch hat sich in der Rechtsprechung und Literatur die folgende Begriffsbestimmung herausgebildet:
„Das gesprochene Wort ist nichtöffentlich, wenn es nicht für einen größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten oder nicht durch persönliche oder sachliche Beziehungen miteinander verbundenen Personenkreis bestimmt oder unmittelbar verstehbar ist.“
Nichtöffentlich ist eine Äußerung also dann, wenn der Teilnehmerkreis individuell begrenzt ist, also sie nicht einem beliebigen Zutritt offensteht. Es geht hier im Kern also nur um die Herstellung von Tonaufnahmen, von Gesprächen die vertraulich geführt wurden und auch vertraulich bleiben sollen. Wichtig: Auch dienstliche Äußerungen von Polizisten können vertraulich sein. Es ist mithin nicht so, dass der Schutz der Vertraulichkeit in dem Moment aufgehoben ist, in dem ein Bürger sich eine Uniform überzieht oder hinter einen Dienstschreibtisch setzt.
Oft wird zusätzlich das Kriterium der faktischen Öffentlichkeit herangezogen. Dies meint eine Situation, in welcher beliebig viele Personen von einem öffentlichen Ort aus eine bestimmte Wahrnehmung machen können. Gespräche, die in einer solchen Umgebung geführt werden, sollen per se nicht unter die Strafvorschrift fallen.
Drei Entscheidung – drei Meinungen
Aber wie passt der § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB nun zum Filmen von Polizeieinsätzen?
Mit dieser Frage befasste sich unter anderem das OLG Zweibrücken. In dem Sachverhalt soll die Beschuldigte eine vierzig Minuten lange Aufnahme mit ihrem Handy gemacht haben. Dabei habe sie das Handy die meiste Zeit auf den Boden gerichtet und somit vor allem eine Tonaufnahme des Einsatzes gemacht.
Die Polizisten hätten eine Gruppe von fünfzehn bis zwanzig Personen kontrolliert, die auf einem ehemaligen Gelände einer Fachhochschule Drogen und Alkohol konsumiert haben sollten. Während die Polizeibeamten die Personalien feststellten, entstand die besagte Aufnahme. Es wurden sodann sämtliche Gespräche, die während des Einsatzes stattfanden, wenigstens in Ton aufgezeichnet. Weil der Verdacht bestand, dass einzelne Betroffene der Personenkontrolle und auch Gespräche zwischen den einzelnen Betroffenen aufgenommen worden waren, wurde die Sicherstellung des Handys angeordnet und durchgesetzt.
Das Amtsgericht nahm hier tatsächlich eine Verletzung des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB an. Dies wurde durch das OLG Zweibrücken bestätigt. Auch sie sahen in diesem Polizeieinsatz eine nichtöffentlich getätigte Konversation.
Sie begründeten dies damit, dass gerade sämtliche Gespräche aufgezeichnet worden waren. Also Gespräche sowohl zwischen den eingesetzten Beamten, Beamten und einzelnen Betroffenen der Personenkontrolle als auch Gespräche zwischen den einzelnen Betroffenen. Die Kontrolle fand zur nächtlichen Stunde in einem begrenzten Bereich statt. Aus Sicht der Sprecher und Sprecherinnen war daher nicht davon auszugehen, dass über die Gruppe der kontrollierten Personen, der Zeugen und der Einsatzkräfte hinaus, weitere Personen zuhören würden. Es war daher gerade nicht von einer faktischen Öffentlichkeit auszugehen.
Eine andere Entscheidung in einer ähnlichen Rechtsfrage hat das OLG Düsseldorf getroffen:
Die Beschuldigte in diesem Sachverhalt nahm an einer Demonstration teil. Im Zuge dessen soll sie durch die Polizei wegen eines Verstoßes gegen das Vermummungsgebot angesprochen worden sein. Da es auf der Versammlungsfläche sehr laut gewesen sei, hätten die Polizeibeamten die Beschuldigte an einen ruhigeren Ort geführt, etwa zehn Meter von dem Geschehen entfernt. Dieser befand sich immer noch in unmittelbarer Nähe zu der Demonstration und grenzte an ein Kneipenviertel und an die Innenstadt. Der Ort war zu dieser Zeit von Versammlungsteilnehmern und Passanten stark frequentiert. In dieser Situation startete die Beschuldigte nun die Aufnahme auf ihrem Handy, wobei auch sie die Kamera auf den Boden richtete und nur der Ton ihres Gesprächs mit den Polizeibeamten aufgezeichnet wurde.
Also im Grunde eine ähnliche Situation wie bei der Entscheidung des OLG Zweibrücken? Nicht ganz. Denn hier sah das das OLG Düsseldorf keine Verletzung des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Vielmehr nahmen sie in dieser Situation die faktische Öffentlichkeit für gegeben an und meinten, dass öffentlich gesprochenes Wort aufgezeichnet worden sei. Doch wo liegt hier der Unterschied zu der anderen Entscheidung?
In den äußerlichen Umständen. Denn, so das OLG Düsseldorf, nach offen zutage liegenden Umständen mussten die kontrollierenden Polizeibeamten mit einer Kenntnisnahme durch Dritte rechnen. Die Kontrolle wurde an einer frei zugänglichen öffentlichen Fläche durchgeführt und auch wenn man mit der Beschuldigten ca. 10 Meter weg ging, so konnten dennoch beliebige Dritte ihre Diensthandlung beobachten und akustisch wahrnehmen.
Und nun gibt es eine weitere Entscheidung. Dieses Mal vom Landgericht Hanau: Wieder eine etwas andere Ausgangsituation. Die Polizei kontrollierte hier drei männliche Personen in einem Fahrzeug. Grund für die Kontrolle: Die Männer sollen ohne einen ersichtlichen Grund das entgegenkommende Polizeiauto angehupt haben. Im Verlauf der Kontrolle soll hitzig die Notwendigkeit selbiger in Zweifel gezogen worden sei, weshalb einer der Beamten seine Body-Cam einschaltete und eine Ton- und Videoaufnahme fertigte, nachdem er dies auch zuvor angekündigte hatte. Daraufhin startete eine der Personen im Auto ebenfalls sein Handy und nahm den Beamten und dessen weitere Anordnungen auf.
Unabhängig von der Frage, ob bei einer solchen Kontrolle am Auto, das gesprochene Wort öffentlich oder nichtöffentlich ist, oder gar eine faktische Öffentlichkeit gegeben ist, in dem Augenblick, in welchem der Beamte wie angekündigt seine dienstliche Body-Cam eingeschaltet hatte, war das Gespräch nicht mehr nichtöffentlich. Eine solche Gesprächssituation nimmt nach Auffassung der Kammer gemessen an Wortlaut, Entstehungsgeschichte und insbesondere dem Strafzweck des § 201 StGB nicht mehr an dessen Schutz teil. Denn läuft die Body-Cam, sprechen Polizisten nicht mehr unbefangen.
Fazit: Drei Juristen, sieben Meinungen.
It’s complicated. Die Rechtslage ist für Laien kaum zu durchschauen. Wo Strafbarkeit beginnt und wo sie endet, ist eine Frage des Einzelfalles. Aus unserer Sicht als Strafverteidiger:innen ist es höchste Zeit, dass der Gesetzgeber sich dieser Frage annimmt. Das Bundesjustizministerium ist in der Hand der FDP. Dass Polizisten „nur“ Bürger in Uniform sind, und damit kommen wir auf den Beginn dieses Textes zurück, ist ein zutiefst liberaler Gedanke. Worauf also warten Sie noch, lieber Bundesjustizminister Marco Buschmann?