von ht-strafrecht | 25. April 2022 | Defensio

Bundesgerichtshof: EncroChat-Daten vollumfänglich verwertbar

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von: Rechtsreferendarin Marleen Gutsche

 

Dürfen deutsche Gerichte Beweise verwerten, die in Frankreich mit fragwürdigen Methoden durch Hackerangriffe auf verschlüsselte Telefone gewonnen wurden? Der BGH hat diese Frage nunmehr geklärt. Von Rechtsreferendarin Marleen Gutsche

Bereits Anfang Februar hatte der Bundesgerichtshof in einer Randbemerkung durchblicken lassen, dass er EncroChat als Beweismittel in Strafverfahren grundsätzlich für verwertbar erachte. Nun äußerte sich der 5. Strafsenat des BGH im Beschluss vom 02. März 2022 erstmalig ausführlich zu der umstrittenen Rechtsfrage. Danach besteht kein Beweisverwertungsverbot.

 

Was genau ist EncroChat?

EncroChat war bis Mitte 2020 ein europaweit tätiger Telekommunikationsanbieter, der Kryptohandys vertrieb. Kryptohandys sind abhörsichere mobile Endgeräte. Die Bundesregierung („Merkel-Handy“) sowie bestimmte sicherheitsrelevante Bundes- und Landesbehörden lassen seit jeher ihre Kommunikation mittels verschiedener Hard- und Softwareanbieter verschlüsseln. Erstmals 2017 und 2018 hatten französische Ermittler EncroChat-Handys sichergestellt. 2020 hackte Interpol die Nachrichten von rund 32.000 Nutzern. Es wurde bekannt, dass EncroChat zu einem Großteil im Bereich der internationalen organisierten Kriminalität und des Drogenhandels genutzt wurde. Rund 1.800 Beschuldigte wurden daraufhin festgenommen. In der Folge kam es zu einer Vielzahl von Strafverfahren.

 

Umgehung von Beweisverwertungsverboten durch die Hintertür?

Umstritten war, ob die durch den Hackerangriff erlangten Daten in Strafverfahren vor deutschen Gerichten verwertbar waren. Nach deutschen Maßstäben waren die Beweise in Frankreich rechtswidrig erlangt worden. Das Landgericht Berlin hatte daher zunächst ein Beweisverwertungsverbot angenommen. Der Maßstab für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots müsse immer derselbe sein, egal ob das Beweismittel in Frankreich oder in Deutschland erlangt worden sei. Dem erteilte erstmals das Kammergericht eine Absage. Es sah die Beweise als Zufallsfunde an und wies auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile zwischen den Mitgliedsstaaten in der EU hin. Dieser Grundsatz lasse keinen Raum für eine eigenständige deutsche Rechtmäßigkeitsprüfung.

 

Wie begründet der Bundesgerichtshof seine Entscheidung?

Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt liege ein Beweisverwertungsverbot vor, urteilte nun der Bundesgerichtshof. Die Rechtmäßigkeit von Ermittlungshandlungen sei ausschließlich nach dem Recht des ersuchten Staates zu beurteilen, hier also Frankreichs. Innerhalb der EU träfe deutsche Gerichte und Ermittlungsbehörden weder das Recht noch die Pflicht, die Rechtmäßigkeit von Ermittlungsmaßnahmen anderer EU-Mitgliedsstaaten zu hinterfragen. Auch nationales Verfassungs-, Strafprozess- oder das Recht der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK, stünden der Verwertbarkeit nicht entgegen.

 

Entscheidung engt die Spielräume von Strafverteidigung ein!

Wir von H/T-Defensio begrüßen die Entscheidung natürlich nicht. Im Interesse unserer Mandanten streiten wir tagtäglich dafür, dass die Rechte von Beschuldigten in Strafverfahren bestmöglich gewahrt werden. Unserer Mandantschaft wird es schwer zu vermitteln sein, weshalb ein nach deutschem Recht unverwertbares Beweismittel aus dem – eher zufälligen – Grunde verwertbar sein soll, weil es nicht in Deutschland, sondern in Frankreich gewonnen worden ist. In einem stetig weiter zusammenwachsenden Europa, in dem die Grenzen des Nationalstaats zunehmend an Bedeutung verlieren, öffnet die BGH-Entscheidung dem Missbrauch durch Polizeibeamte Tür und Tor: Ermittler können fortan bestimmte, hierzulande nur schwerlich legal zu erlangende, Beweise einfach wenige Kilometer jenseits der Grenze in unserem Nachbarland erlangen und auf diese Weise Beweisverwertungsverbote gezielt unterwandern.

Mit einem in die Hände von Polizisten gelangten Handy beginnen häufig lästige Ermittlungen. Sollte auch Ihr Handy sichergestellt worden sein, berufen Sie sich bitte auf Ihr verfassungsrechtlich verbürgtes Recht zu schweigen und schalten Sie unverzüglich einen Fachanwalt für Strafrecht ein. Fachanwalt für Strafrecht Dr. Jonas Hennig und sein Team von HT-Defensio begrüßen Sie an einem unserer Standorte – in Lüneburg, Hamburg, Dortmund, Köln, Kiel, Bremen, Hannover, Lübeck oder Osnabrück.