von ht-strafrecht | 22. Juni 2023 | Defensio

Straflose Beihilfe zum Suizid in Abgrenzung zur aktiven Sterbehilfe

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ein Blogbeitrag von Rechtsreferendarin Yasemin Ekici

Ein schwerwiegend erkrankter Partner, Patient oder Elternteil und dessen Wunsch, das Leben mit Hilfe selbstbestimmend zu beenden – aber was passiert, wenn man diesem Wunsch nachkommt und „Hilfe“ beim Sterben leistet?

Immer wieder müssen sich die Gerichte mit der Frage beschäftigen, war es straflose Beihilfe zum Suizid oder hat sich der/die Angeklagte wegen Tötung auf Verlangen, Totschlags (durch Unterlassen) oder unterlassene Hilfeleistung strafbar gemacht. Zuletzt musste sich der BGH mit dieser Frage im sog. Insulin-Fall (Beschluss v. 28.06.2022 – 6 StR 68/21) beschäftigen.

 

Darf ich einer sterbewilligen Person beim Sterben helfen? Das war geschehen:

Ein todeswilliger dauerhaft pflegebedürftiger Mann nimmt tödliche Medikamente ein. Seine Ehefrau bittet er, ihm alle vorrätigen Insulinspritzen zu spritzen, was sie auch tut. Die Ehefrau weiß, dass die Insulinmenge geeignet ist, den Tod ihres Mannes herbeizuführen. Der Mann stirbt aufgrund des injizierten Insulins an Unterzuckerung. Einen Arzt informiert die Ehefrau aufgrund der mit ihrem Mann getroffenen Absprache nicht.

 

Rechtliche Bewertung der Beihilfe zum Suizid

 Der BGH entschied im vorliegenden Fall, dass es sich um straflose Beihilfe zum Suizid und nicht um Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) ggf. durch Unterlassen (§§ 216, 13 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) handele. Maßgeblich für die Beurteilung sei, ob der lebensbeendende Akt eigenhändig (vom Suizidenten) ausgeführt wurde. Für die Abgrenzung strafbarer Tötung auf Verlangen von strafloser Beihilfe zum Suizid komme es nicht auf die naturalistische Unterscheidung von aktivem und passivem Handeln an. Vielmehr sei eine normative Betrachtung geboten. Bei wertender Betrachtung hätten die Einnahme der Tabletten und die Injektion des Insulins nach dem Gesamtplan des Ehemannes einen einheitlichen lebensbeendenden Akt gebildet, über dessen Ausführung allein der Ehemann bestimmte. Denn der Mann habe sich in erster Linie durch die selbst eingenommenen Medikamente umbringen wollen. Die Insulinspritzen seien lediglich als Rückversicherung, dass der Tod auch wirklich eintreten wird, gedacht gewesen. Beides zusammen sei ein „Gesamtplan“ – ein einheitlicher Akt – des Mannes gewesen, den er zuvor selbst bestimmt habe.

Letztlich sei es auch nur Zufall gewesen, dass das Insulin den Tod verursacht habe. Denn die zuvor geschluckten Tabletten seien auch dazu geeignet gewesen, hätten aber erst später wirken können. Nach Ansicht des BGH habe der Verstorbene bis zuletzt die Möglichkeit gehabt, einen Rettungsdienst zu rufen. Eine Garantenpflicht der Ehefrau lehnte der BGH aufgrund des Selbstbestimmungsrechts und dem freien Sterbewillen ihres Mannes ab.

 

Rechtliche Einordnung der Sterbehilfe

Wann liegt eine strafbare und wann eine straflose Sterbehilfe vor?

Bei der Sterbehilfe ist zwischen der aktiven, passiven und indirekten Sterbehilfe zu unterscheiden. Im Rahmen der aktiven Sterbehilfe verabreicht jemand anderes dem Patienten ein tödlich wirkendes Mittel. Der Sterbende nimmt das Medikament nicht eigenhändig ein. Die aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. Sie steht gemäß § 216 StGB wegen Tötung auf Verlangen unter Strafe und sieht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren vor.

Als passive Sterbehilfe wird der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen wie der Verzicht auf Beatmung, Ernährung und Bluttransfusion bezeichnet. Bei der indirekten Sterbehilfe (palliative care) steht die Schmerzlinderung im Vordergrund. Der Patient bekommt in diesem Fall Medikamente, die seine Schmerzen lindern, jedoch zur Folge haben, dass er früher versterben wird. Sowohl die passive als auch die indirekte Sterbehilfe sind in Deutschland erlaubt.

Eine Grauzone eröffnet sich allerdings dort, wo jemand Beihilfe zum Suizid leistet und dem Sterbewilligen das tödliche Mittel beschafft oder bereitstellt. Ein entscheidendes Merkmal zur Abgrenzung der aktiven Sterbehilfe ist, dass der Sterbewillige das Medikament eigenhändig einnimmt. Nimmt der Suizident das Medikament oder einen Teil der zum Tod führenden Medikamente nicht selbstständig ein, besteht die Gefahr, sich wegen Tötung auf Verlangen strafbar zu machen. In diesem Fall ist nach Ansicht des 6. Strafsenats des BGH eine normative Betrachtung auf Grundlage des Gesamtplans maßgeblich.

Die Entscheidung im Insulin-Fall macht deutlich, dass die Grenze zwischen der aktiven Sterbehilfe und der Beihilfe zum Suizid verschwimmt und eine Abgrenzung als äußert schwierig erscheint. Um solche grenzwertigen Fälle klarer und eindeutiger lösen zu können, wäre es angebracht, den § 216 StGB neu zu regeln oder eine Vorschrift einzuführen, die das selbstbestimmte Sterben regelt. Denn insbesondere in persönlichen Näheverhältnissen wie der Ehe oder der Familie wird es immer wieder dazu kommen, dass man der sterbewilligen Person aus moralischer Verbundenheit schweren Herzens dennoch helfen möchte.

Daran schließen sich im Einzelfalle schwerwiegende Fragen an: Darf die „gute Absicht“, jemanden auf dessen Wunsch beim Sterben zu helfen, zu einem strafrechtlich relevanten Verhalten führen? Ist eine Freiheitsstrafe in solchen Fällen gerechtfertigt? Wie soll den Sterbewilligen geholfen werden, die den lebensbeendenden Akt nicht eigenhändig durchführen können? Müssen diese Personen bis zu ihrem natürlichen Todeseintritt leiden? Setzt sich derjenige in einen Widerspruch zur Menschenwürde, der einem Sterbewilligen Hilfe beim Sterben versagt? Denn der Mensch hat – so hat es das Bundesverfassungsgericht bereits wiederholt festgestellt – ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.

 

Erlaubte Sterbehilfe Österreichs – Vorbildfunktion für Deutschland

Möglicherweise könnte die erlaubte Sterbehilfe in Österreich eine Vorbildfunktion für Deutschland sein. Zwar ist seit Februar 2020 der assistierte Suizid in Deutschland erlaubt, d.h. Sterbewillige können Dritte bitten, eine tödliche Substanz zu beschaffen, und es besteht in Deutschland bereits die Möglichkeit die Freitodbegleitung durch die DGHS (Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben e.V.) in Anspruch zu nehmen, allerdings fehlt es noch immer an einer gesetzlichen Regelung.

Das österreichische Verfassungsgericht hat das Verbot der Beihilfe zum Suizid aufgehoben und eine gesetzliche Neuregelung gefordert. Seit Anfang 2022 können dauerhaft schwerkranke oder unheilbar kranke Personen eine Sterbeverfügung errichten, die ihnen das selbstbestimmte Sterben mit Hilfe einer anderen Person ermöglicht. Voraussetzung ist, dass die sterbewillige Person volljährig und auf Dauer schwer krank ist. Sowohl die Erkrankung als auch die Entscheidungsfähigkeit muss von zwei unterschiedlichen Ärzten festgestellt werden.

Zwischen der ärztlichen Beratung und der Verfassung der Sterbeverfügung bei einem Notar oder Patientenanwalt müssen mindestens 12 Wochen liegen, wobei die Frist bei Personen mit Krankheit im Endstadium nur zwei Wochen beträgt. Liegen die Voraussetzungen vor, ist das todbringende Medikament in der Apotheke erhältlich. Vielleicht wäre diese Vorgehensweise für Deutschland der erste Schritt in die Richtung des selbstbestimmten Sterbens.

Klar ist, Sterbehilfe sollte eine Ausnahme bleiben. Sie bedarf auch einer strengen Kontrolle, um Missbrauch zu vermeiden. Aber es bedarf dringend einer einheitlichen Reglung. Insbesondere aus moralischen, ethischen und vor allem strafrechtlichen Aspekten sollte die Sterbehilfe eindeutig geregelt werden, um physisch und psychisch belastende Strafverfahren zu vermeiden. Denn nicht nur das Leben des Sterbewilligen ist schützenswert, sondern auch die Freiheit des Sterbehelfenden.