von ht-strafrecht | 21. Februar 2023 | Defensio

Kuriose Entscheidung: Ein Richter, der den Angeklagten duzt, ist nicht befangen.

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ein Beitrag von Rechtsreferendarin Theresa Dropmann

Schenkt man dem Landgericht Frankfurt am Main Glauben, ist ein Richter nicht befangen, wenn er den Angeklagten duzt, mit ihm regelmäßig Mittagessen gegangen ist und er Gefälligkeiten von ihm erhalten hat. Das klingt abenteuerlich, mag aber einen schlichten Grund haben: Der Angeklagte ist nicht irgendwer – sondern Oberstaatsanwalt.

 

Befangenheit im Gericht – was war passiert?

Der Angeklagte, ein Oberstaatsanwalt, hatte in einer Abteilung für Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen gearbeitet. Dort soll er aber selbst die Hand aufgehalten haben, bei der Vergabe von Gutachten nämlich. Laut Anklage soll sich der von dem Oberstaatsanwalt herbeigeführte Schaden auf mehr als zehn Millionen Euro belaufen. Gegen ihn wurde Anklage wegen Korruption, Bestechlichkeit, Untreue und Steuerhinterziehung erhoben.

Die Verteidigung des Oberstaatsanwalts stellte einen Befangenheitsantrag gegen den erkennenden Richter. Grund: Es bestehe das Besorgnis der Befangenheit, weil der Richter und der Oberstaatsanwalt sich duzten, oftmals miteinander Mittagessen gegangen waren (dabei über private Dinge sprachen) und der Richter von dem Oberstaatsanwalt Hilfe bei dem Umgang mit seinem Computer erhalten hatte.

Es kommt noch bunter: Ein weiterer Befangenheitsgrund sei darin zu sehen, dass die Frau des erkennenden Richters Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft sei. Das Verfahren ziehe ein großes Medieninteresse auf sich, im Hinblick auf die Unabhängigkeit und Rechtsstaatlichkeit von Staatsanwaltschaft und Gericht. Aufgrund ihrer beruflichen Position hätte die Frau des Richters ein Interesse an dem Ausgang des Verfahrens, über den aber ausgerechnet ihr Ehemann bestimmt. Es bestünde mithin die Besorgnis, dass dieser befangen sei.

 

Wann liegt Befangenheit vor?

Besorgnis der Befangenheit liegt grundsätzlich immer dann vor, wenn ein Grund vorgebracht wird, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Eine tatsächliche Befangenheit muss nicht vorliegen, es genügt schon der „böse Schein“. Es kommt darauf an, ob das beanstandete Verhalten für einen verständigen Verfahrensbeteiligten Anlass geben kann, an der persönlichen Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln.

In folgenden Fallkonstellationen wird der „böse Schein“ bejaht:

  • Besonderes Näheverhältnis des Richters zu Verfahrensbeteiligten
  • Mitwirkungen an Vorentscheidungen oder sonstige Vorbefassungen mit der zu entscheidenden Sache
  • Verfahrensfehler, die einem Richter unterlaufen sind
  • Äußerungen des Richters über das Prozessverhalten von Verfahrensbeteiligten
  • Eigenes Interesse eines Richters an einem bestimmten Prozessausgang

 

Die Begründetheit eines Befangenheitsantrag ist immer eine Einzelfallentscheidung.

 

Kurios: Das LG Frankfurt am Main lehnte Besorgnis der Befangenheit ab

Die Besorgnis der Befangenheit wurde mit der Begründung abgelehnt, es läge keine „besonders enge dienstliche Zusammenarbeit“ vor. Es seien auch keine Anhaltspunkte ersichtlich für ein besonders „enges persönliches Verhalten“. Ein gemeinsames Mittagessen zwischen einem Oberstaatsanwalt und einem Richter zu Abstimmungszwecken sei nichts Ungewöhnlich. Bei der Unterstützung mit Fragen rund um die IT handelt es sich um eine bloße Gefälligkeit. Diese sei ebenfalls kein Ausdruck eines besonderen Vertrauensverhältnisses.

Der Auffassung des Verteidigers, dass der Richter über die Pressearbeit seiner Frau urteilen müsse, da die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft die Strafzumessung beeinflusse, folgt das Gericht ebenfalls nicht. Die Rechtsprechung des BGH gehe davon aus, dass selbst eine aggressive und vorverurteilende Medienberichterstattung für die Strafzumessung regelmäßig ohne Bedeutung sei. Die zuständige Staatsanwaltschaft habe inzwischen mitgeteilt, dass die Ehefrau des Richters in dieser Sache nicht als Pressesprecherin tätig werde. Zuletzt sei Duzen in Justizkreisen nicht ungewöhnlich. Es sei auch nicht zwangsläufig ein Ausdruck guter Freundschaft oder einer sonstigen Nähebeziehung. Es bestehe zwischen einem Oberstaatsanwalt und einem Richter auch kein Über- Unterordnungsverhältnis.

 

Was ist von der Entscheidung zu halten?

Rechtsstaatlich ist diese Entscheidung sehr problematisch. Aus unserer Sicht liegt ein klarer Fall von Befangenheit vor. Dem ist sich die Frankfurter Justiz offenbar auch bewusst: Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Landgericht sperrten sich zunächst dagegen, die Begründung der Zurückweisung des Befangenheitsgesuchs an die Presse herauszugeben.

 

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Nach dem Willen der Väter und Mütter unseres Grundgesetzes ist der Anspruch auf einen gesetzlichen und unbefangenen Richter ein grundrechtsgleiches Recht. Als hochspezialisierte Strafrechtskanzlei sehen wir von H/T Defensio es als unsere Aufgabe an, die Justiz zu kontrollieren, damit unsere Mandanten ein faires Verfahren bekommen. Bitte melden Sie sich bei uns, falls Sie Beratungsbedarf haben. Wir können Ihnen in der Regel innerhalb einer Woche einen persönlichen Zoom-Termin mit einem unserer Strafverteidiger anbieten, oder aber wir heißen Sie an einem unserer Standorte in Lüneburg, Hamburg, Kiel, Lübeck, Bremen, Münster, Osnabrück, Hannover, Dortmund, Düsseldorf, Köln, Bonn oder Frankfurt am Main willkommen.