von ht-strafrecht | 27. Februar 2023 | Defensio

ChatGPT im Strafrecht: Werden Strafverteidiger:innen durch ChatGPT ersetzt?

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eine Betrachtung von Dr. Jonas Hennig und Christoph Grabitz

ChatGPT ist ein auf maschinellem Lernen beruhendes Dialogsystem, das eine Antwort auf – fast – jede menschliche Frage geben kann. Beobachter werten es als einen Durchbruch der künstlichen Intelligenz in unserem Alltag. Die Auswirkungen von ChatGPT auf die Berufswelt sind erst zu erahnen. Eines ist aber jetzt schon klar: Eine moderne Strafrechtskanzlei wie H/T Defensio muss die Risiken und Nutzen künstlicher Intelligenz von Anfang an mitdenken.

 

ChatGPT und Strafverteidigung – der aktuelle Stand in der Justiz

Was das Thema Digitalisierung angeht, ist unsere Strafjustiz irgendwo in den achtziger Jahren stecken geblieben: Bei vielen Staatsanwaltschaften und Gerichten sind noch immer kotzgrüne Telefone mit Wählscheibe zu finden. Anwälte sind zwar verpflichtet, das elektronische Anwaltspostfach beA zu nutzen, die Schriftsätze werden aber auf den Geschäftsstellen ausgedruckt und in die gute alte Papierakte geheftet. Ein für Anwälte zugängliches W-Lan in bundesdeutschen Gerichtssälen gibt es nicht. Das Telefax ist noch state of the art.

Manche Kolleg:innen machen es sich bequem. Warum sollte ich mich als Verteidiger mit Digitalisierung beschäftigen, wenn die Strafjustiz beharrlich die Augen davor verschließt? Als Verteidiger, der zugleich Unternehmer ist, erscheint mir diese Haltung zwar sympathisch – aber auf lange Sicht blauäugig. H/T Defensio arbeitet seit Jahren volldigitalisiert und cloudbasiert. Künstliche Intelligenz aber ist der nächste Schritt. Erfolg oder Misserfolg einer modernen Strafrechtsboutique wird auch davon abhängen, wie wir KI für uns nutzen.

 

Künstliche Intelligenz im Strafrecht: Keine (gute) Strafverteidigung ohne KI in zehn Jahren

Wer jetzt gebetsmühlenartig wiederholt, dass Chat-GPT und Co. noch so viele Fehler machen, was zutrifft, macht es sich allzu leicht. Technischer und gesellschaftlicher Fortschritt passiert nie plötzlich und über Nacht: Nach und nach entsteht etwas Neues, bislang Ungeahntes. Schritt für (manchmal auch Rück-) Schritt. Es ist das Prinzip Trial-and-Error. Die ersten Flugpioniere wurden dafür verspottet, dass sie Vögel nachahmten. Die Erfinder des Automobils unter Verweis auf die seit Jahrtausenden erprobte Zuverlässigkeit von Pferdefuhrwerken verlacht.

Ich bin ehrlich mit Ihnen: Ich selbst habe die Dimension von KI noch nicht erfasst. Der technische Fortschritt interessiert mich, echte Begeisterung aber finde ich woanders. Sicher bin ich mir aber, dass Strafverteidiger:innen, die in zehn Jahren keine KI nutzen, am Markt keine Chance mehr haben. Nun gut, dies ist weder Singapur noch Korea oder Indien, sondern Deutschland. Also seien wir großzügig. Legen wir noch weitere fünfzehn Jahre drauf.

Wenn mir KI in Sekundenschnelle die Probleme einer Akte inhaltlich aufzeigt, ein Rechtsproblem löst und eine Strategie vorschlägt, wie sollte ich als Anwalt konkurrenzfähig sein, wenn ich diese Vorteile im Gegensatz zu meinen Kolleg:innen nicht nutze? Das ist genau so, wie mit den Kolleg:innen, die keine professionelle, aktive Online-Akquise betreiben. Diese Kanzleien können derzeit noch leben, aber sie werden genauso wie die KI-Verweigerer aussterben. Ich persönlich finde das traurig, ich mag das Knistern von Papier, aber auch der Anwaltsmarkt wird sich Disruptionen erleben, die wir bereits jetzt in anderen Branchen sehen, allen voran der Medienindustrie.

Ich persönlich freue mich auf den Zeitraum, in denen KI-Tools den entscheidenden Vorsprung bringen. Die Justiz in Deutschland wird, genau wie derzeit bereits, zehn bis zwanzig Jahre hinter dem Markttrend herhinken. Diesen Vorsprung müssen Verteidiger ausnutzen.

 

Wird KI Strafverteidiger:innen ersetzen?

Ich denke nicht. Aus den folgenden Gründen:

  1. Vertrauen

Menschen vertrauen, wenn es um ihre Freiheit geht – ob nun zu Recht oder Unrecht – eher einem Menschen als einer Maschine. KI wird „rechtstechnisch“ bald schon besser sein als viele Anwälte:innen, aber das wird am Vertrauensfaktor so schnell nichts ändern. In fünfzehn Jahren, das ist meine Vermutung, werden die Menschen vor allem exzellenten Anwält:innen vertrauen, die KI nutzen und kontrollieren.

 

  1. Menschlichkeit

Menschen, die einem Strafverfahren ausgesetzt sind, haben das Bedürfnis nach einem menschlichen Beistand. Von Kleinauf fassen wir unsere Eltern oder andere Vertraute an die Hand. Ein Haftbesuch eines Verteidigers kann keinesfalls durch den Besuch einer Maschine ersetzt werden. Am Rande des rein Fachlichen geht es auch um den belanglosen Schnack, Humor oder den aufmunternden Blick.

 

  1. Gesetzliches Verbot

KI wird im Bereich Strafverteidigung als selbständig verkaufte Dienstleistung ohne dahinterstehenden „kontrollierenden“ Anwalt in Deutschland verboten sein. Für ein solches Verbot sprechen gute Gründe. In jedem Fall wird die Anwaltslobby dafür sorgen, dass Rechtsberatung allein durch Roboter verboten bleibt.

 

  1. Kontrollfunktion

Ich vermute, dass es fachlich und menschlich hochkarätige Anwält:innen brauchen wird, die sich der Schwachpunkte und Begrenzungen von KI bewusst sind und zugleich alle ihre Vorzüge zum Wohle der Mandanten einsetzen. KI wird große Schwierigkeiten haben, individuelle, persönliche, geographische Besonderheiten eines Gerichts bei dem Entwurf einer maßgeschneiderten Verteidigungsstrategie zu berücksichtigen. Es kann von Vorteil sein, die Marotten eines Richters/einer Richterin zu kennen.

 

 

Was tun wir bei Defensio?

  • Einrichtung einer Task-Force „KI & Strafrecht“, die den Markt und Produktentwicklungen beobachtet und austestet. Derzeit testen wir ChatGPT in den verschiedensten Bereichen. Die Ergebnisse reichen von faszinierend bis ernüchternd.
  • Für 2023 ist ganz konkret ein Softwareroboter anvisiert, der sämtliche neuen Akten anlegt. Streng genommen ist das nicht KI aber immerhin eine Vorstufe. Dadurch werden riesige Vakanzen bei den Mitarbeiter:innen im Sekretariat frei, die aber nicht zu Entlassungen führen werden.

  • Schon jetzt nutzen wir – wie die meisten Kolleg:innen – Texterkennungsprogramme