von ht-strafrecht | 21. Februar 2024 | Defensio

Darf es auch ein bisschen weniger Zeugnisverweigerungsrecht sein?

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ein Blogbeitrag von Rechtsreferendar Yannic Ippolito

​Macht ein Zeuge erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, ist es verboten, seine frühere Aussage durch eine Hintertür in das Strafverfahren einzuführen – etwa durch Befragung des Vernehmungsbeamten oder durch Verlesen des Vernehmungsprotokolls. Ob ein Zeuge dabei bestimmen kann, dass einzelne Vernehmungen nun doch verwertet werden dürfen, war bislang höchstrichterlich nicht entschieden. Klarheit über einen solchen Teilverzicht schaffte nunmehr der Bundesgerichtshof in seiner kürzlich veröffentlichten Entscheidung.

 

Was war passiert?

Der Entscheidung des 1. Strafsenats des BGH vom 18. Oktober 2023 (Az. 1 StR 222/23) lag der folgende Sachverhalt zugrunde:

Ein junger Mann wurde von der Jugendkammer des LG Konstanz unter anderem wegen fünffacher Vergewaltigung an seiner Schwester zu einer Jugendstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Die Schwester, die zugleich Nebenklägerin im Strafverfahren gewesen war, machte zuvor im Ermittlungsverfahren sowohl Angaben bei der Polizei als auch bei einer aussagepsychologischen Gutachterin im Zuge des Explorationsgesprächs. Im Prozess berief sich die Schwester sodann auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht. Hierbei gestattete sie dem Gericht allerdings, ihre bei der Gutachterin getätigten Angaben zu verwerten. So geschah es schließlich – die Jugendkammer stützte ihre Verurteilung des Angeklagten auch auf der Aussage der Schwester, die diese bei der Gutachterin getätigt hatte.

 

Ist es dem Zeugen gestattet, über die Reichweite seines Zeugnisverweigerungsrechts zu disponieren?

Als Schwester des Angeklagten hatte diese das Recht, ihre (Zeugen-)Aussage zu verweigern (Zeugnisverweigerungsrecht) gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO i.V.m. § 1589 Abs. 1 S. 2 BGB. Von diesem Recht hat sie auch in der Hauptverhandlung Gebrauch gemacht. Dennoch wurde aber ihre Aussagen gegenüber der Gutachterin verwertet. Die Frage: War das zulässig?

Hat ein Zeuge bereits im früheren Verfahrensstadium Angaben zum Tatgeschehen gemacht – etwa bei der Polizei – und beruft er sich erst später im Prozess auf sein Zeugnisverweigerungsrecht, kommt es zu einem Konflikt essenzieller Prozessmaxime im Strafverfahren: dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme sowie dem Grundsatz der Wahrheitserforschung.

Diesen Konflikt hat der Gesetzgeber gesehen und in § 252 StPO aufgelöst: Hiernach ist es verboten, die im früheren Verfahrensstadium getätigten Angaben um den Zeugen „herum“ in den Prozess einzuführen. Nach ständiger Rechtsprechung normiert § 252 StPO grundsätzlich über den Gesetzeswortlaut hinaus („verlesen“) ein allgemeines Beweisverwertungsverbot der Zeugenaussagen für solche Situationen.

Nicht von § 252 StPO wird allerdings die Frage beantwortet, ob der Zeuge die Reichweite seines Zeugnisverweigerungsrechts bestimmen kann; sprich, ob der Zeuge dem Gericht gestatten kann, bestimmte frühere Aussagen zu verwerten oder eben nicht (Teilverzicht).

Gerade einen solchen Teilverzicht hatte aber die Schwester vorgenommen, indem sich diese im Prozess auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht stützte, hiervon aber die Angaben bei der Gutachterin ausklammerte.

 

Die Antwort des BGH

Auf die Revision der Verteidigung hob der BGH das Urteil der Jugendkammer des LG Konstanz auf. Nach Ansicht des 1. Strafsenats ist es dem Zeugen verwehrt, über die Reichweite seines Zeugnisverweigerungsrechts zu disponieren:

Ein […] Teilverzicht ist unzulässig. Denn ein Zeuge kann nur in dem Rahmen über das Beweisverwertungsverbot verfügen, in dem es seinem Schutz dient […] Das bedeutet: Der Zeuge kann entscheiden, ob er sich als Beweismittel zur Verfügung stellen will oder nicht […] Darüber hinaus hat er kein schützenswertes Interesse daran, den Umfang der Verwertbarkeit der von ihm bereits vorliegenden Angaben zu bestimmen […], weshalb insoweit im Interesse des Angeklagten und der Allgemeinheit an der Wahrheitserforschung seinem Einfluss auf das Strafverfahren Grenzen zu ziehen sind.“

Zur Begründung dieses Ergebnisses zieht der Senat einerseits den Schutzzweck des Zeugnisverweigerungsrechts in § 52 StPO und andererseits dessen prozessuale Absicherung über § 252 StPO ins Blickfeld.

 

Der Schutzzweck des Zeugnisverweigerungsrechts in § 52 StPO

Hinsichtlich § 52 StPO führt der BGH aus:

„Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 I StPO dient dem Schutz des Zeugen, durch seine der Wahrheitspflicht unterliegende Aussage nicht zur Belastung eines Angehörigen beitragen zu müssen […] Der Zeuge kann bis zur Hauptverhandlung frei entscheiden, ob seine frühere, vielleicht voreilige oder unbedachte Aussage verwertet werden darf, und hat das Recht, in der Hauptverhandlung das Zeugnis zu verweigern sowie seine frühere Entscheidung zu ändern […] Beruft er sich auf sein Recht aus § 52 I StPO, unterliegen daher sämtliche früheren Aussagen grundsätzlich einem Beweisverwertungsverbot (§ 252 StPO […]).“

Damit stellt der BGH ausgerichtet am Schutzzweck des § 52 StPO klar, dass es dem Zeugen nur freisteht, zu entscheiden, ob er sich dem Gericht in seiner Gesamtheit als Beweismittel zur Verfügung stellen möchte oder eben gar nicht.

Stellt er sich sodann als Beweismittel zur Verfügung, bedarf es keines Schutzes der persönlichen Beziehung zum Angeklagten mehr und seine früheren Angaben können in den Prozess eingeführt werden.

Macht der Zeuge dagegen von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, wird der persönlichen Beziehung zum Angeklagten Vorrang eingeräumt, wonach dieses nicht in Konflikt mit früheren Aussagen des zur Wahrheit verpflichteten Zeugen geraten darf.

 

Die prozessuale Absicherung des Zeugnisverweigerungsrechts über § 252 StPO

Hinsichtlich des Zusammenspiels von § 52 StPO und § 252 StPO führt der BGH aus:

„Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der sich auf sein Recht aus § 52 I StPO berufende Zeuge darüber hinaus auf die Sperrwirkung seiner Zeugnisverweigerung verzichten, sodass frühere Angaben durch die Vernehmungsperson oder den Sachverständigen […] in die Hauptverhandlung eingeführt werden können […] Denn das Beweisverwertungsverbot aus § 252 StPO dient allein der Sicherung des mit der Gewährung des Rechts zur Zeugnisverweigerung verfolgten Zwecks und ist daher für den Zeugen insoweit disponibel, als er hierauf verzichten und durch die Gestattung der Verwertung früherer Angaben zur Sachaufklärung beitragen kann.“

Der BGH stellt klar, dass Sinn und Zweck des § 252 StPO die prozessuale Absicherung des Zeugnisverweigerungsrechts in § 52 StPO ist. Da diese Absicherung allerdings nicht weiter reichen kann, als der in § 52 StPO zu gewährleistende Schutz (s.o.), kann auch hiernach ein Zeuge einzig über das „Ob“ disponieren; also danach, ob er sich dem Gericht insgesamt als Beweismittel zur Verfügung stellen möchte oder eben gar nicht.

 

Fazit – Überzeugt die Antwort des BGH?

Im Ergebnis überzeugt die Entscheidung des BGH. Hinsichtlich des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 52 StPO ist von einem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ auszugehen: Entweder stellt sich der Zeuge dem Tatgericht insgesamt als Beweismittel zur Verfügung oder – unter Berufung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht – eben nicht. Die Möglichkeit eines Teilverzichts ist abzulehnen.

Es würde ein starkes Störgefühl auslösen, wenn die Dispositionsmacht des Zeugen über vorherige Angaben so groß wäre, dass dieser selbst bestimmen könnte, ob nur bestimmte (belastenden oder entlastende) Angaben vom Gericht verwertet werden dürfen oder nicht. Dies würde eklatant dem Schutzzweck des Zeugnisverweigerungsrechts in § 52 StPO und dessen prozessualer Absicherung in § 252 StPO widersprechen sowie dem Zeugen ein nicht schützenswertes Interesse auf dem Weg zur Urteilsfindung einräumen.

Die Frage, ob es auch ein bisschen weniger Zeugnisverweigerungsrecht sein darf, muss daher mit einem klaren „Nein“ beantwortet werden!

 

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