von ht-strafrecht | 02. Oktober 2024 | Defensio

Catcalling unter Strafe stellen? Drei Gründe, die dagegensprechen!

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ein Blogbeitrag von Rechtsreferendarin Elica Sobotta

Catcalling meint das sexuell anzügliche Hinterherrufen oder Nachpfeifen durch Männer gegenüber Frauen, also eine verbale Form der sexuellen Belästigung. Immer wieder wird die Forderung nach der Erschaffung eines Straftatbestands laut, um dieses nervige Verhalten einzudämmen. Aus rechtsstaatlicher Sicht wäre die Neuschaffung eines entsprechenden Straftatbestands aber verheerend. Ein solcher verstieße gegen das Bestimmtheitserfordernis und das Gebot, dass das scharfe Schwert des Strafrechts immer ultima ratio zu sein hat.

 

Catcalling: Was bedeutet das genau?

Der Begriff stammt aus dem Englischen. In wortwörtlicher Übersetzung handelt es sich um das Anlocken einer Katze.  Gemeint ist eine Form der berührungslosen sexuellen Belästigung im öffentlichen Raum in Form von obszönen Gesten, anzüglichen Bemerkungen oder Pfeif- und Kussgeräuschen. In Frankreich, Belgien und Portugal handelt es sich um eine Straftat, in Deutschland nach der derzeitigen Rechtslage noch nicht.

 

Warum sollte das auch so bleiben?

Damit wir uns nicht missverstehen:

Auch wir bei Defensio sind keineswegs der Auffassung, dass Catcalling eine gute Sache ist. Wir sind uns sehr wohl darüber bewusst, dass es sich um ein respektloses und andere Menschen verdinglichendes Verhalten handelt, das bekämpft werden muss. Das scharfe Schwert des Strafrechts ist aus unserer Sicht aber hierfür nicht das richtige Instrument.

  1. Gegenargument: Strafrecht hat ultima ratio zu sein.

Das Strafrecht hat in einem freiheitlichen Rechtsstaat immer ultima ratio zu sein. Heißt: Eine Pönalisierung darf nur dann erfolgen, wenn sie ohne sie kein effektiver Rechtsgüterschutz stattfinden kann.

Aufgabe des Strafrechts ist es nicht, jedwedes unanständige oder unverschämte Benehmen im Bagatellbereich zu sanktionieren. Als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gibt es beispielsweise das Ordnungswidrigkeitenrecht. Dieses ist für kleinere Verfehlungen reserviert, beispielsweise im Straßenverkehrsrecht, die noch nicht strafwürdig sind. Hier wäre das Catcalling weitaus besser einzusortieren als im Bereich von Diebstahl, Nötigung, Totschlag, wo es um einen konkreten Rechtsgüterschutz geht.

In Fällen, in denen die persönliche Ehre mit der für das Strafrecht zu fordernden Erheblichkeit betroffen ist, bietet das bestehende Recht bereits jetzt hinreichenden Schutz. Denn unter den Straftatbestand der Beleidigung fallen bereits jetzt Beleidigungen auf sexueller Grundlage. Wenn Sie zum Beispiel gegenüber einer Frau mit Ihren Händen eine Geste machen, die auf Geschlechtsverkehr anspielt und dazu Ihr Portemonnaie öffnen und mit Geldscheinen wedeln, dann kann darin eine solche Beleidigung auf sexueller Grundlage gesehen und mit aller Härte des Gesetzes verfolgt werden.

  1. Gegenargument: Gefahr der Überlastung der Strafjustiz.

Ein weiteres Gegenargument ist die Überlastung des Rechtssystems. Wenn jede verbale Belästigung – sei sie noch so klein und kurz – zur Anzeige gebracht werden könnte, würden die Gerichte mit einer Vielzahl von Fällen konfrontiert werden. Diese wären wiederum – insbesondere aufgrund der subjektiven Komponenten, siehe bereits oben – schwer zu beurteilen und zu beweisen. Hinzu käme ihre Missbrauchsanfälligkeit. Dies würde zu einer ineffizienten Nutzung von Ressourcen führen und die Bearbeitung schwerwiegenderer Straftaten (z.B. Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Raub) behindern.

  1. Gegenargument: Bestimmtheitsgrundsatz und Abgrenzungsprobleme.

Straftatbestände müssen so bestimmt sein, dass die Bürger:in zu jedem Zeitpunkt ganz genau weiß, was verboten ist – und was erlaubt. Die Grenze zwischen einem Flirt und einer Belästigung ist stark subjektiv undkulturell geprägt. Die Schwelle der Erheblichkeit solchen Verhaltens abstrakt zu definieren und von sozialadäquatem Verhalten abzugrenzen, ist kaum möglich.

Ein Staat, der unbequemes oder unverschämtes Verhalten unter Strafe stellt, macht sich angreifbar, weil die Frage, was „unbequem“ und was „unverschämt“ ist, eine sehr subjektive Frage ist. Beispiel gefällig? Ein Ausspruch wie „Du hast aber eine tolle Figur!“ mag für die eine ein den Tag aufhellendes Kompliment sein, für den anderen aber eine Grenzüberschreitung. Ein liberaler Rechtsstaat traut es seinen Bürger:innen zu, dass sie resilient sind und eigenständig Grenzen setzen.

 

Catcalling unter Strafe stellen? Das Fazit

Die Forderung nach der Neuschaffung eines eigenen Straftatbestands zum Catcalling ist Symbolpolitik und daher abzulehnen.

Wir befinden uns beim Catcalling in einem Bereich, in dem Erziehung und Prävention aber auch der öffentliche Diskurs innerhalb unserer Zivilgesellschaft weitaus mildere aber ebenso geeignete Mittel sind, um dem Problem Herr zu werden als ein strafbewehrter Ausspruch von Verboten.

Welche Kraft zivilgesellschaftliches Engagement bei der Sensibilisierung gegenüber sexuellen Grenzüberschreitungen entfalten kann, hat die #metoo-Debatte gezeigt. Wie man kreativ (und nicht repressiv durch Verbote) auf das Problem des Catcallings aufmerksam machen kann, hat das Youtube-Video 10 Hours of Walking in NYC as a woman“ gezeigt. Mit einer versteckten Kamera wurde eine über mehrere Stunden durch New York laufende junge Frau frontal gefilmt. In den zwei Minuten des Videos bekommt man eine bedrückende Vorstellung davon, wie vielen nervigenden, beleidigenden oder gar einschüchternden Kommentaren die junge Frau auf ihrem Weg durch die Stadt ausgesetzt ist. Das Video ging bereits im Jahr 2014 viral, wurde bis heute 52 Millionen mal auf Youtube angeklickt und löste eine breite Debatte aus.

Kein Gesetz der Welt hätte einen solchen Erfolg.

 

Ihnen wird eine Beleidigung auf sexueller Grundlage vorgeworfen? Sie haben eine polizeiliche Vorladung oder einen Anhörungsbogen erhalten?

Das Wichtigste zuerst: Machen Sie von Ihrem verfassungsrechtlich verbürgten Schweigerecht Gebrauch und schalten Sie unverzüglich eine auf das Strafrecht spezialisierte Kanzlei ein. Fachanwalt für Strafrecht Dr. Jonas Hennig und das gesamte Defensio-Team helfen Ihnen gerne weiter und stehen Ihnen als verlässlicher Ansprechpartner zur Verfügung. Zögern Sie nicht, uns jederzeit zu kontaktieren. Wir sind auf sämtliche Bereiche des Strafrechts spezialisiert und bieten Ihnen schnellstmöglich einen persönlichen Online-Termin an.