von ht-strafrecht | 30. Juni 2022 | Defensio

„Der Schwangerschaftsabbruch gehört nicht ins Strafrecht“

strafverteidigung-hamburg

ein Kommentar von Rechtsreferendarin Anne Kluwe

 

Mit diesem Satz läutete die neue Bundesfamilienministerin Paus in der Debatte um die Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche die nächste Runde im Kampf um das in den §§ 218 ff. StGB geregelte Abtreibungsverbot an. Nach der Entscheidung des US Surpreme-Courts zur Aufhebung des seit 1973 verankerten Rechts auf Schwangerschaftsabbruch zeigt sich ein noch stärker als ohnehin bereits tief gespaltenes Land. Rückschritt in den USA, Fortschritt in Deutschland?

 

Was bisher geschah…

Die Ampelkoalition aus SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen hat sich im Koalitionsvertrag die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Frauen zum Ziel gesetzt. Die selbstbestimmte Familienplanung sei ein Menschenrecht.

Am 24. Juni 2022 beschloss der Bundestag die Aufhebung des § 219a StGB (Verbot der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch). Bundesjustizminister Buschmann (FDP) bezeichnete die Regelung als „absurd und aus der Zeit gefallen“. Bundesfamilienministerin Paus (Bündis90/Die Grünen) sprach sich im Zuge dessen für eine prinzipielle Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs und damit eine komplette Neuaufstellung des deutschen Schwangerschaftsabbruchsrechts aus. Die Linke beantragte bereits im März 2021 die Streichung der §§ 218 ff. aus dem Strafgesetzbuch. In der ersatzlosen Streichung der §§ 218 ff. StGB liegt mit Blick auf die Abschaffung des § 219a StGB eine denklogische Konsequenz: Denn der § 219a StGB ist letztlich nur Folge des § 218 StGB und der grundsätzlichen Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen.

Wie nicht anders zu erwarten, reagierten CDU/CSU und AfD empört. Dass auch hierzulande Menschen gegen die Entscheidung des von Donald Trump mehrheitlich konservativ besetzten US-Supreme Courts auf die Straße gingen, nahm CDU-Chef Friedrich Merz zum Anlass vor einem Kulturkampf zu warnen. Mehr als die beschlossene Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche dürfe es nicht geben. Die strafrechtlichen Regelungen über den Schwangerschaftsabbruch hätten über Jahrzehnte für gesellschaftlichen Frieden gesorgt.

 

Schwangerschaftsabbruch seit 1871 eine Straftat

Seit dem Kaiserreich ist der Schwangerschaftsabbruch hierzulande eine Straftat. Schwangere und Dritte, insbesondere auch ärztliches Personal, die einen Abbruch vornehmen, riskieren eine Geld- oder sogar Haftstrafe. Zu der grundsätzlichen Strafbarkeit gibt es eine Reihe von Ausnahmen, in denen ein Abbruch im Ergebnis straflos ist. Nach zahllosen Neufassungen ist das Ergebnis intransparent und von vielen Ausnahmen gekennzeichnet. Dies hat in der Praxis zu vielen rechtlichen Problemen, systematischen Widersprüchen und aufgeblähter Bürokratie geführt.

 

Gesellschaftlicher Wandel und Liberalisierung

Der Debatte liegen Urteile des Bundesverfassungsgerichts aus den Jahren 1975 und 1993 zugrunde. Darin wurde festgestellt, dass der vorgeburtliche Lebensschutz es erfordert, von einer grundsätzlichen Rechtspflicht der Frau zur Austragung der Schwangerschaft auszugehen. Die Grundrechte der Frau greifen laut der Entscheidung des BVerfG gegenüber dem grundsätzlichen Verbot des Schwangerschaftsabbruchs nicht durch. Dass diese Ansicht nicht mehr in unsere Zeit passt, zeigt die Entwicklung der gesellschaftlichen Akzeptanz von Schwangerschaftsabbrüchen: Stimmten 1982 noch 29 Prozent der Bundesbürger einer Abtreibung auf Grundlage der freien Willensentscheidung einer Frau zu, hatte sich diese Quote bis zum Jahr 2018 auf 88 Prozent erhöht. Pikant: Zum Zeitpunkt der ersten Entscheidung, im Jahre 1975, war der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts vollständig mit Männern besetzt; im Zeitpunkt der zweiten Entscheidung war, neben sieben Männern, nur eine einzige Frau an der Entscheidung beteiligt. Repräsentation sieht anders aus.

 

Warum eine Entkriminalisierung längst überfällig ist

Bei der Konstellation der schwangeren Frau und Fötus ist keine übliche Konstellation von Grundrechtskollisionen zwischen zwei Bürgern gegeben. Dem ungeborenen Leben innerhalb der Mutter kann keine gewichtigere Rechtsposition als der lebenden Mutter selbst zugesprochen werden. Gegenüber den erheblichen körperlichen und psychischen Belastungen einer monatelangen andauernden ungewollten Schwangerschaft und den einschneidenden Änderungen der gesamten Lebensführung einer nachfolgenden Mutterschaft muss der Schutz des noch ungeborenen Lebens zurücktreten. Der Embryo ist Teil des mütterlichen Organismus und fällt daher in die Intimsphäre der Frau, die ihrer eigenen privaten Lebensgestaltung obliegt und dem staatlichen Zugriff entzogen ist.

Der derzeitigen Regelung liegt ein überholtes Frauenbild zu Grunde. Eine Mutterschaft wird heute als Folge einer höchst individuellen Entscheidung betrachtet. Sie stellt nicht die Erfüllung natürlicher oder gesellschaftlicher Verpflichtung dar.

Die Normierung des Schwangerschaftsabbruchs im selben Abschnitt unseres Strafgesetzbuchs wie Mord und Totschlag führt zu einer Stigmatisierung von ungewollt schwangeren Frauen, die zu massiven psychischen Belastungen führen kann. Ferner ist der Schwangerschaftsabbruch nicht vergleichbar mit den übrigen Straftaten gegen das Leben, da sich ein Schwangerschaftsabbruch nicht gegen das Leben eines anderen Menschen richtet, sondern gegen einen noch nicht geborenen Fötus innerhalb des Körpers eines bereits geborenen Menschen. Dass auch dieser Fötus bereits einen effektiven rechtlichen Schutz verdient, liegt auf der Hand. Es bedarf aber eines anderen Ansatzes, um die betroffenen Schutzgüter – das Selbstbestimmungsrecht der Mutter auf der einen und der Schutz des ungeborenen Lebens auf der anderen Seite – miteinander auszubalancieren.

 

Religiöser Einfluss und seine Folgen

Im Rahmen des Gesetzesentwurfes zu § 219a StGB wurde fast ein Drittel der Stellungnahmen von katholischen oder evangelischen Organisationen eingeholt, nur ein Achtel von juristischen Stellen. Warum in einem säkularen Staat im Rahmen von Gesetzesvorhaben überhaupt auf religiöse Einschätzungen zurückgegriffen wird, ist fraglich; warum nur Vertreter einer einzigen Religion, des Christentums nämlich, gehört werden, ist mit Blick auf die Religionsfreiheit und die ständig sinkenden Mitgliederzahlen der christlichen Glaubensgemeinschaften in Deutschland nicht nachvollziehbar.

Der Einfluss religiöser Gruppen auf dieses Thema, insbesondere des christlichen Extremismus, zeigt sich auch in den USA. Häufig verbergen sich hinter dem Einstehen für die „christliche Werte“ zutiefst misogyne, rassistische, antisemitische und queerfeindliche politische Interessen. Clarence Thomas, Donald Trump nahe stehender Richter am US Surpreme Court, ließ nach der Entscheidung verlauten, dass auch andere bisherige verfassungsrechtliche Grundsätze künftig überdacht werden müssen, etwa zum Gebrauch von Verhütungsmitteln oder der gleichgeschlechtlichen Ehe. Menschenrechtsaktivisten sind alarmiert.

 

To be continued…

Wie die politische Diskussion um das Abtreibungsverbot hierzulande weiter verlaufen wird, bleibt abzuwarten. Die Befürchtung, der gesellschaftliche Friede könne durch die Debatte gefährdet werden, erinnert an die aus konservativen Kreisen in der Vergangenheit bereits geäußerte Befürchtung, die Strafbarkeit von der Vergewaltigung in der Ehe könne den ehelichen Frieden gefährden. Die Ausübung von Macht und Kontrolle zur Unterdrückung von Rechten ist nie ein erhaltenswerter friedvoller Zustand. Auf kurzfristige Sicht ist jedenfalls nicht mit einer Streichung des § 218 StGB zu rechnen.

Egal ob Sie wegen ein paar Gramm zu viel Marihuana, eines Betruges oder aber wegen des Verdachts einer Straftat gegen das Leben schlaflose Nächte haben: Wir von der Kanzlei H/T Defensio sind auf Strafrecht spezialisiert und stehen Ihnen als verlässliche Ansprechpartner jederzeit zur Verfügung. Zögern Sie nicht, uns online oder an einem unserer vielen Standorte in Hamburg, Lüneburg, Kiel, Lübeck, Bremen, Hannover, Osnabrück, Dortmund, Köln und Münster zu kontaktieren. Wir freuen uns auf Sie und helfen Ihnen gerne weiter!